Republik Moldau: Brüssels Hoffnung am Rande Europas

Chisinau, Republik Moldau
Chisinau, Republik Moldau(c) APA (HARALD KRACHLER)
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Das Land zwischen Rumänien und der Ukraine will 2013 näher an die EU rücken. Visafreie Reisen in die EU sollen die Bevölkerung für harte Reformen entschädigen.

Quo-vadis.md: Mit einem lateinischen Ausspruch als Internetadresse wirbt eine private Sprachschule im Zentrum der moldauischen Hauptstadt für ihre Dienste. Gleichzeitig bringt das Zitat mit dem Länderkürzel „md“ die derzeit brennendste Zukunftsfrage der Republik Moldau auf den Punkt.

Die ehemalige Sowjetrepublik galt lange als Land, das vor allem Portugal, Spanien und Italien mit billigen Arbeitskräften belieferte, selbst jedoch als „Armenhaus Europas“ wirtschaftlich darniederlag. Geopolitisch steckte die Republik in einem tiefen Spalt zwischen EU und der früheren Sowjetunion fest. Das könnte sich demnächst ändern. Zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten Unabhängigkeit ist eine Annäherung an Europa zum Greifen nah: Im November 2013 könnte die EU mit dem Land ein Assoziierungsabkommen mit umfassenden Freihandelsbestimmungen abschließen, sowie den 3,6Millionen Moldauern eine visafreie Einreise in die EU gewähren, wie es in einigen Staaten des Westbalkans bereits Realität ist.

„Die EU kann uns nicht brauchen“

Für die Wirtschaftsstudentin Cristina Bûnzila, die auf einem Sofa im Inneren der klobigen „Akademie für Wirtschaftsstudien“ auf eine Vorlesung wartet, gibt es keinen Zweifel. „Moldau muss sich an der EU orientieren – das bedeutet bessere Ausbildung, bessere Lebensbedingungen.“ Die 19-Jährige bereitet sich auf ein Studium in England vor, das sei noch immer erfolgversprechender als das Wirtschaftsstudium hier. Ihre Kollegin ein paar Sitze weiter vertritt eine andere Sicht. „Die EU kann uns doch nicht brauchen. Wir sind zu arm für Europa.“ Und die in Aussicht gestellte Reisefreiheit? Reisen nach Europa könne sie jetzt schon, entgegnet sie; sie besitze einen rumänischen Zweitpass, wie weitere 226.000 Moldauer. Politisch vertraut sie jedoch auf den traditionellen Verbündeten des Landes, auf Russland. Knapp 40 Prozent der Wähler haben bei den letzten Parlamentswahlen 2009 für die russophilen Kommunisten gestimmt. Die Anbindung an Moskau bringe Vorteile, erklärt die 22-Jährige: Energie und Lebensmittel würden dann billiger.

Seit 2009 regiert in Chişinau jedoch die prowestliche „Allianz für Europäische Integration“ von Premier Vlad Filat. Sie leitete nach knapp einem Jahrzehnt kommunistischer Dominanz in Parlament und Präsidentenamt einen prowestlichen Kurswechsel ein.

Brüssel dankt es Chişinau. Die EU unterstützte Moldau 2012 mit 70 Millionen Euro, 2013 erhält das Land 100 Millionen Euro. Flankiert wird der Geldsegen von ermunternden Worten und hohen Visiten. Angela Merkel war im August 2012 da, zuletzt flogen Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Polens Präsident Bronislaw Komorowski nach Chişinau ein. Kein „business as usual“ für das Land an Europas Peripherie, das es sonst nur mit Themen wie Armut, Menschenhandel und Sozialwaisen in die Nachrichten schafft.

Die langgezogene Republik am Prut ist für Brüssel wichtig geworden. Es ist der einzige Staat der „Östlichen Partnerschaft“, der derzeit noch ernste Bestrebungen zeigt, die Brüsseler Auflagen für eine wirtschaftliche und politische Annäherung zu erfüllen. Die übrigen fünf Ex-Sowjetrepubliken sind Problemfälle: Mit Weißrussland sind die Beziehungen weit unter dem Gefrierpunkt, der Kurs des einst hoffnungsfrohen Georgiens ist unklar, und die Ukraine, vor ein paar Jahren sicherer Erstanwärter auf die Assoziierung, ist unter Präsident Janukowitsch zu einem schwierigen Partner geworden.

Reformen in Justiz und Wirtschaft

In Moldau regieren zwar nicht wie in Kiew die Oligarchen, doch wirtschaftlich und in Energiefragen hängt Chişinau stark von Moskau ab. Die EU mahnt zu Reformen im Justizwesen und bei der Korruptionsbekämpfung. Auch einheimische Experten äußern sich kritisch. „Die Regierung tut nicht genug, um das Geschäftsklima zu verbessern“, sagt Dinu Armaşu von der Vereinigung der Auslandsinvestoren FIA. Neuinvestoren sucht man vergeblich, das Wirtschaftswachstum liegt für 2012 – auch wegen einer verheerenden Dürre im Sommer – bei 0,3 Prozent: Nicht genug für einen „emerging market“. Doch für Brüssel wirkt die Republik Moldau im Vergleich zur benachbarten Ukraine wie ein politisches und wirtschaftliches Leichtgewicht.

„Momentan sind wir wichtig für die EU, weil sie eine Erfolgsstory in ihrer östlichen Nachbarschaft braucht“, sagt Victoria Bucataru, Analystin des Foreign Policy Center. „Und Brüssel zeigt den anderen Staaten: Seht, das ist ein Land, das seine Hausaufgaben gemacht hat, und die Menschen profitieren nun davon.“

Kurzes Zeitfenster für Regierung

Bucataru sitzt in ihrem Büro in einer Gasse hinter dem Stefan-CelMare-Prospekt, sie ist 29 Jahre alt und zählt zur prowestlichen Elite. Ihr Thinktank wurde, wie Bucataru sagt, in der „kommunistischen Zeit“ als Ideenwerkstatt der damaligen Opposition gegründet. Eine Referenz an die Ära der straffen Herrschaft von Ex-Präsident Wladimir Woronin, von 2001 bis 2009 im Amt. Die Partei des 71-Jährigen, dessen Nachfolge ungeklärt ist, ist noch immer bestens organisiert. Woronin, der durch die Dörfer tourt, gibt sich als Sorgenonkel der verarmten Landbevölkerung. In der Parteizeitung „Der Kommunist“ verspricht er, „dem Volk den Staat“ zurückzugeben. Bei den Wahlen Ende 2014 wolle er wieder die Macht ergreifen, um die „Ordnung im Land“ wiederherzustellen. Alles nur großspurige Ankündigungen? Keineswegs. Die prowestliche Regierungsallianz weiß, dass sich das Zeitfenster für Reformen bald wieder schließen könnte.

Die Abschaffung des EU-Visa-Regimes steht daher ganz oben auf der Agenda Chişinaus, wenn es schon kaum wirtschaftliche Erfolgsmeldungen mitzuteilen gibt. „Man kann europäische Werte und Prinzipien nicht essen“, weiß auch Analystin Bucataru. „Doch von der Visabefreiung werden auch die einfachen Bürger sofort profitieren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2013)

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