Krichbaum: „Cameron instrumentalisiert Europa“

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Der Vorsitzende des deutschen EU-Ausschusses, Gunther Krichbaum im „Presse“-Gespräch. Er sieht nötige institutionelle Vertiefungen nach dem Höhepunkt der Krise in weite Ferne rücken.

Wien. Die akute Phase der Krise ist gerade überstanden, das Vertrauen auf den Märkten kehrt sukzessive zurück – schon bricht sich unter Europa-Experten die nächste Befürchtung Bahn: Das Reformtempo in der Europäischen Union, mahnen sie, drohe parallel zum Erholungsprozess zu erlahmen.

Anlass zu dieser Sorge ist durchaus gegeben. Denn einerseits finden in diesem Jahr wichtige Wahlen – unter anderem in Italien und Deutschland – statt, die den Integrationseifer der betreffenden Regierungschefs dramatisch bremsen könnten. Andererseits hat der englische Premier David Cameron schon vor Wochen damit gedroht, die institutionelle Vertiefung der Union zu blockieren, so er nicht Sonderbedingungen in weiten Teilen der europäischen Sozialpolitik und bei der Finanzmarktregulierung durchsetzen kann.

Gunther Krichbaum, Vorsitzender des Europa-Ausschusses im deutschen Bundestag, hält in diesem Zusammenhang besonders den Zeitpunkt des von Cameron angekündigten Referendums über einen EU-Austritt für gefährlich: Dieses soll bekanntlich frühestens im Jahr 2015 stattfinden und könnte den Integrationsprozess der Union bis dahin völlig lähmen, fürchtet er. „Die Argumente liegen ja heute schon auf dem Tisch. Cameron sollte das Referendum sofort machen“, fordert Krichbaum in einem Gespräch mit der „Presse“. „Stattdessen setzt er es bewusst nach der Wahl an und instrumentalisiert damit die Europapolitik für innenpolitische Zwecke.“

Den Briten nicht nachgeben

Die Ausgangslage für dringend nötige institutionelle Veränderungen in der Union sei also derzeit eine schwierige, meint der CDU-Politiker. Nichtsdestoweniger hofft er, dass die britische Bevölkerung sich bei dem Referendum für einen Verbleib in der EU entscheidet. „Wir müssen in Zukunft enger koordinieren – nicht nur in der Finanz- und Wirtschaftspolitik, sondern auch in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das Potenzial des Vertrags von Lissabon in diesen Bereichen ohne Großbritannien auszuschöpfen ist kaum vorstellbar“, so Krichbaum. Dennoch hielte er es für einen groben Fehler, bei künftigen Verhandlungen zu Vertragsänderungen auf die Forderungen der Briten einzugehen: Damit würde man verhängnisvolle Präzedenzfälle schaffen, mahnt der Europapolitiker. Argumente für den Verbleib in der Union gebe es aber ohnehin ausreichend. Allein die Tatsache, dass die EU vor Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA steht, müsse bei den Briten die Frage aufwerfen, ob die Ausgangslage allein oder auf einem Markt mit 500 Millionen Einwohnern für sie eine bessere sei.

Neue Partnerschaft auch für Türkei

Entscheiden sich die Briten dennoch für den Austritt, könnte das Wort „privilegierte Partnerschaft“ bald eine neue Bedeutung erlangen, meint Krichbaum. Auch EU-Beitrittskandidaten mit schwieriger Ausgangslage wie die Türkei könnten so enger an die Union heranrücken, ohne aber vollständiges Mitglied zu werden.

Gefahr für eine baldige institutionelle Vertiefung der Union und die damit verbundene Verpflichtung zu stabilem Haushalten ortet Krichbaum derzeit aber nicht nur in London, sondern auch in Rom. In Europa wächst die Sorge, dass Ex-Premier Silvio Berlusconi – ein erklärter Gegner der Sparpolitik seines Nachfolgers Mario Monti – an die Macht zurückkehren wird. „Wenn Berlusconis populistische Ankündigungen sich auch im Wahlergebnis widerspiegeln, könnte das Italien zurückwerfen und das in den letzten Monaten unter Monti gewonnene Vertrauen an den Finanzmärkten erschüttern. Denn trotz aller Fortschritte bestehen immer noch erhebliche Risiken.“

Die deutschen Bundestagswahlen im Herbst dagegen würden dem europäischen Reformprozess nicht im Wege stehen, meint der Bundestagsabgeordnete. In Berlin herrsche unter den Parteien ohnehin Common Sense darüber, dass die Union enger zusammenwachsen muss. „Anders als in Österreich gibt es in Deutschland einen grundsätzlichen Konsens in der Europapolitik“, so Krichbaum.

Auf einen Blick

Gunther Krichbaum ist Vorsitzender des Ausschusses für europäische Angelegenheiten im deutschen Bundestag. Der CDU-Politiker warnt, dass nach dem Höhepunkt der Eurokrise der Reformeifer in der EU erlahmen könnte. Insbesondere durch die Blockadehaltung Großbritanniens besteht die Gefahr, dass eine institutionelle Vertiefung der EU in weite Ferne rückt. [Bundestag]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2013)

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