Europaparlament: „Natürlich übernehmen wir Texte“

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EU-Abgeordnete sind wegen der direkten Übernahme eines von Lobbyisten verfassten Änderungsantrags in die Kritik geraten. Ist der Einfluss von Lobbyisten wirklich so groß? Wie arbeiten sie wirklich?

Brüssel/Wien. Die aufgeflogene direkte Einflussnahme von eBay und Amazon auf Änderungsanträge zur EU-Datenschutzrichtlinie im Europaparlament hat die Arbeit der Abgeordneten in ein schiefes Licht gerückt. Ist der Einfluss von Lobbyisten wirklich so groß, dass einzelne Europaabgeordnete zu willfährigen Gehilfen der Industrie oder anderer Interessengruppen werden? Ein Blick hinter die Kulissen der täglichen Arbeit der Abgeordneten zeigt ein differenziertes, aber durchaus auch heikles Bild.

„Natürlich übernehmen wir Texte“, bestätigt dies der SPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament, Jörg Leichtfried, auf Anfrage der „Presse“. Und er ist nicht der Einzige, der offen eingesteht, dass er Interessengruppen sogar bewusst kontaktiert, um deren Vorschläge einzuarbeiten. „Manchmal bitte ich sogar um einen Vorschlag“, so ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas. „Auch ich habe schon ein Wording einer NGO übernommen“, sagt Eva Lichtenberger von den Grünen.

„Filtern Bitten und Vorschläge“

Einhellig bestätigen die österreichischen Abgeordneten, dass ihre tägliche Arbeit mit dem Filtern von zahlreichen Bitten und Vorschlägen verbunden ist. „Ich bekomme hunderte Briefe“, so Karas. „Ich lasse mich nicht korrumpieren, aber ich lasse mich informieren.“

Leichtfried betont, dass nicht die Übernahme von Textteilen etwa in Änderungsanträge das Problem sei, sondern die Intransparenz, woher diese Texte kommen. Zuletzt behauptete die Organisation „Privacy International“ gar, dass der britische konservative Abgeordnete Malcom Harbour in seinen Änderungsanträgen zur neuen Datenschutzrichtlinie zu einem Viertel die Wünsche der US-Handelskammer übernommen habe.

Im Europaparlament sind vor allem die Berichterstatter, die neue Gesetzesvorschläge in den Ausschüssen federführend erarbeiten, das begehrte Ziel von Lobbyisten. Harbour war sogenannter Schattenberichterstatter, der für seine Fraktion die Position zur Datenschutzrichtlinie erarbeitete.

Leichtfried für Zitierpflicht

Da die Übernahme von Änderungsvorschlägen offenbar im gesamten Europaparlament gang und gäbe ist, fordert Leichtfried die Einführung einer Zitierpflicht. Das heißt, Abgeordnete sollten künftig auflisten, von wem sie Texte eins zu eins übernommen haben. Außerdem tritt er dafür ein, dass jeder Abgeordnete seine Kontakte zu Lobbyisten offenlegt. Auch Karas und Lichtenberger befürworten einen Ausbau der Transparenz.

Leichtfried macht kein Hehl daraus, dass er selbst bei der Entwicklung von EU-Gesetzen bereits mehrfach mit österreichischen Interessengruppen wie dem ÖGB zusammengearbeitet habe. Als Beispiel nennt er einen Gesetzesvorschlag für einen einheitlichen europäischen Lokomotivführerschein. „Da ich als Abgeordneter nicht das technische Wissen hatte, habe ich die ÖBB und den ÖGB gebeten, Vorschläge zu machen.“ Auch Karas bestätigt, dass er von sich aus immer wieder mit den betroffenen Stellen in Österreich Rücksprache hält. Karas war etwa für die neuen Kapitalregeln der Banken (Basel III) im Europaparlament zuständig.

Lichtenberger sieht grundsätzlich kein Problem darin, dass sich Abgeordnete mit Interessengruppen oder sogar Lobbyisten treffen und mit deren Positionen auseinandersetzen. „Auch ein Bürgermeister muss sich die Interessen der einzelnen Gruppen anhören.“ Es komme letztlich aber darauf an, was Abgeordnete im Sinne des Gemeinnutzens davon übernehmen.

Die grüne Abgeordnete weist darauf hin, dass es ein massives Ungleichgewicht im Lobbying gebe. Die Einflussnahme von Industrieunternehmen und Vertretern der Zivilgesellschaft liege bei etwa hundert zu eins. Es sei vor allem die Großindustrie, die in Brüssel gut organisiert sei. Und sie nehme nicht nur auf das Europaparlament Einfluss, sondern etwa auch auf die Kommission und den Rat der Regierungsvertreter, der hinter verschlossenen Türen tagt. „Dort ist die Transparenz längst nicht so groß wie bei uns im Parlament.“ Deshalb sei es noch viel schwerer, in den anderen EU-Institutionen die Einflussnahme nachweisen zu können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2013)

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