Wien will EU-Kapitel mit Türkei öffnen

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Wien Tuerkei(c) REUTERS (MURAD SEZER)
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Außenminister Spindelegger ist gegen eine Blockade der Beitrittsverhandlungen. Stattdessen will er das Kapitel Justiz und Grundrechte auf den Tisch bringen.

Wien/Brüssel. Die gewalttätige Niederschlagung der Proteste in der Türkei stellt die Geduld der EU mit dem schwierigen Beitrittskandidaten auf eine neue Probe. Auch die Regierung in Wien ist alarmiert. „Die EU muss Ankara gegenüber klarmachen, dass die Gewährleistung der Grund- und Menschenrechte notwendige Voraussetzung für die Annäherung der Türkei an die EU ist“, forderte Außenminister Michael Spindelegger gestern, Donnerstag.

Allerdings will Spindelegger die Beitrittsverhandlungen nicht blockieren, wie dies Amtskollegen anderer EU-Staaten fordern. Der Vizekanzler plädiert im Gegenteil dafür, das heikle Kapitel 23 „Justiz und Grundrechte“ so bald wie möglich zu eröffnen, wie „Die Presse“ aus dem Außenamt erfuhr: „Dadurch wäre es möglich, den Finger auf die Wunde zu legen und die Problematik formell auf den Tisch der Verhandlung zu legen“, so Spindelegger. Auch mit Kroatien, das der EU am 1. Juli beitritt, seien die schwierigen Fragen von Beginn an verhandelt worden. Es gehe nicht darum, Türen zuzuknallen, sondern eine proaktive Lösung der Probleme anzustreben.

Dies ist auch im Sinne der Chefverhandler in Brüssel. Die irische Ratspräsidentschaft drängt darauf, nach mehrjährigem Stillstand in den Verhandlungen mit Ankara am 26. Juni endlich grünes Licht für die Eröffnung eines neuen Kapitels – der Regionalpolitik – zu bekommen. Angesichts der angespannten politischen Lage in der Türkei bremst nun aber die deutsche Bundesregierung. Es gebe „erhebliche Zweifel, ob die baldige Eröffnung des Beitrittskapitels möglich ist“, hieß es laut der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ im Auswärtigen Amt in Berlin. Ähnlich äußerten sich laut „FAZ“ auch der französische Außenminister Laurent Fabius und seine italienische Amtskollegin Emma Bonino. Noch vor wenigen Wochen hatten sich sowohl Guido Westerwelle als auch Fabius für ein baldiges Vorankommen in den Beitrittsgesprächen mit der Türkei starkgemacht.

Nun aber ist fraglich, ob die irische Präsidentschaft ihr Vorhaben umsetzen kann. Für die Eröffnung eines Verhandlungskapitels ist im Rat Einstimmigkeit erforderlich.

Österreich hält an seiner bisherigen Position fest: Die Verhandlungen mit der Türkei müssten fortgesetzt werden, damit sich das Land an EU-Standards anpasse. Dieser Grundsatz gelte nach wie vor, stellte das Außenministerium gegenüber der „Presse“ klar.

Verhandlungen „beste Plattform“

Ähnlich argumentiert auch die EU-Kommission. Die Brüsseler Behörde erklärte am Donnerstag, dass sie einen Stopp der Gespräche für kontraproduktiv halten würde. Die Beitrittsverhandlungen seien die „beste Plattform“, um europäische Bedenken zu artikulieren, sagte der Sprecher von Erweiterungskommissar Štefan Füle.

Im Europaparlament wiederum variieren die Positionen zur EU-Annäherung der Türkei je nach politischer Zugehörigkeit. Während die europäischen Sozialdemokraten die Ansicht der Kommission zu teilen scheinen, zeigt sich die Europäische Volkspartei deutlich kritischer: Für den deutschen Elmar Brok (CDU), der im Parlament dem Auswärtigen Ausschuss vorsitzt, wäre die Eröffnung neuer Verhandlungskapitel eine „Beleidigung für die Demonstranten, die von türkischen Sicherheitskräften ins Gefängnis geworfen wurden“.

Somit war abzusehen, dass die kurzfristig auf die gestrige Agenda gesetzte parlamentarische Resolution zur Lage in der Türkei eine schwammige (und zahnlose) Angelegenheit werden würde. Angesichts des Frontverlaufs ließen die Abgeordneten die Frage nach der Weiterführung der Beitrittsverhandlungen zur Gänze aus – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass das Parlament in dieser Angelegenheit ohnehin kein Mitspracherecht hat.

Die Parlamentarier beschränkten sich darauf, die „überzogene“ Gewalt der türkischen Sicherheitskräfte zu verurteilen und von Ankara mehr Konzilianz einzufordern. Ausdrücklich gelobt wurde hingegen Staatspräsident Abdullah Gül, der im Gegensatz zu Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan von Beginn an Verständnis für die Anliegen der Demonstranten signalisiert hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2013)

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