EU-Budget: EU-Staatsanwalt macht Jagd auf Betrüger

EU Staatsanwalt
EU Staatsanwalt(c) REUTERS (YVES HERMAN)
  • Drucken

Eine neue EU-Staatsanwaltschaft soll die Veruntreuung von Gemeinschaftsgeldern direkt in Mitgliedstaaten bekämpfen. Nach Schätzungen wird das EU-Budget pro Jahr um rund 500 Mio. Euro geschädigt.

Brüssel. „Die Berge sind hoch, der Kaiser ist weit weg“ – dieses alte chinesische Sprichwort beschreibt ein Problem, mit dem jede geografisch ausgedehnte Bürokratie früher oder später konfrontiert ist: Wie gewährleisten, dass die zentralen Budgetmittel in den entlegenen Regionen auch tatsächlich zweckmäßig eingesetzt werden? Während die kommunistischen Herrscher der Volksrepublik immer noch keine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage gefunden haben, wie die in schöner Regelmäßigkeit publizierten Berichte von Korruption in den chinesischen Provinzen belegen, versucht die EU-Kommission, bei der Bekämpfung von Betrug die lokalen Aufseher enger an Brüssel zu binden – und zugleich untereinander zu vernetzen.

Am Mittwoch präsentierten Justizkommissarin Viviane Reding und ihr für den Bereich Steuern zuständiger Kollege Algirdas Šemeta den Entwurf einer europäischen Staatsanwaltschaft, die in Hinkunft die Veruntreuung von EU-Budgetmitteln strafrechtlich wirksamer bekämpfen soll, als es derzeit der Fall ist. Denn aus der Sicht der Brüsseler Behörde mangelt es derzeit einerseits an Befugnissen der bestehenden EU-Betrugsbekämpfungseinheiten OLAF und Eurojust, und andererseits an effektiver Zusammenarbeit zwischen den nationalen Justizbehörden – was dazu führt, dass manche Ermittlungen an der Staatsgrenze zum Erliegen kommen. Nach Schätzungen der Kommission wird das EU-Budget pro Jahr um rund 500 Mio. Euro geschädigt – allerdings soll die Dunkelziffer deutlich darüber liegen. Nicht einmal jede zweite Betrugsermittlung endet mit einem Schuldspruch.

Den Kampf gegen Betrug soll fortan ein Europäischer Staatsanwalt koordinieren, der von vier Stellvertretern flankiert wird – eine bewusst schlanke Organisationsstruktur, die auf bestehende Strukturen zurückgreifen soll: IT-Ressourcen sollen beispielsweise von Eurojust kommen. Ein zehnköpfiges Kollegium, das sich aus den Europäischen Staatsanwälten und nationalen Vertretern zusammensetzt, ist für die internen Regeln und die Verteilung der Fälle zuständig. Die Staatsanwaltschaft soll weisungsunabhängig sein, ihre Mitglieder werden vom Rat ernannt, das Europaparlament hat dabei Mitspracherecht.

Die Bodentruppen für die juristische Offensive der EU liefern hingegen ihre Mitglieder – so soll jedes Land mindestens einen nationalen Staatsanwalt abkommandieren, der die Untersuchung durchführen und dabei auf eigene Ressourcen zurückgreifen soll –, denn die Ermittlungen werden zwar vom Europäischen Staatsanwalt angeordnet, unterliegen aber nationalem Recht und bedürfen einer Zustimmung des örtlichen Gerichts. Ein Durchgriff der EU-Ermittler ist also nicht vorgesehen. Dafür sollen sie gewährleisten, dass Beweismaterial bei grenzüberschreitenden Betrugsfällen in allen beteiligten Ländern anerkannt wird. Damit soll verhindert werden, dass Missetäter in einem Land verurteilt werden, im anderen aber freikommen.

OLAF wird ausgedünnt

Bodentruppen für die neue Eliteeinheit kommen allerdings auch von OLAF – jener für die Betrugsbekämpfung zuständigen Agentur, die im Zug der Affäre um den im Herbst 2012 unfreiwillig zurückgetretenen maltesischen Kommissar Joe Dalli in Zwielicht geraten war, und zwar aufgrund ihrer fragwürdigen Ermittlungsmethoden. Reding bestätigte zwar gegenüber der „Presse“, dass ein Teil der administrativen Ressourcen von OLAF der Europäischen Staatsanwaltschaft zugeteilt werden sollen (siehe Seite 2). Ein Zusammenhang mit der Affäre Dalli wurde aber bestritten – auch die Tatsache, dass OLAF in der Gestalt eines unabhängigen „Prüfers der Verfahrensgarantien“ einen Aufseher erhält, soll nichts mit den Vorwürfen zu tun haben.

Damit der Europäische Staatsanwalt seinen Dienst antreten kann, müssen noch Europaparlament und Rat zustimmen. Nachdem mit Großbritannien, Irland und Dänemark drei Länder eine Opt-out-Klausel haben, geht Reding davon aus, dass die Staatsanwaltschaft im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit gegründet wird – damit es so weit kommt, müssen mindestens neun EU-Mitglieder mit an Bord sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Justizkommissarin Viviane Reding
Europa

Europäischer Staatsanwalt: „Wir schaffen eine kleine, schlagkräftige Truppe“

Justizkommissarin Viviane Reding hofft, dass möglichst viele EU-Mitglieder bei dem Projekt mitmachen.
Leitartikel

Brüssel entgleiten Macht und Einfluss

Im Kampf gegen Betrug mit EU-Fördermitteln will die Kommission etwas erlangen, was ihr in vielen Bereichen abhandengekommen ist: ein Durchgriffsrecht.
EU Betrugsfälle.
Europa

Betrugsfälle: Millionen in der Weinkiste

EU-Gelder werden gern einmal fehlgeleitet oder sind Anlass für Bestechungen. Teilweise waren es auch systematisch falsche Rechnungslegungen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.