EU-Parlament: Ein Deal gegen den Straßburg-Sitz?

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Die Mandatare wollen selbst über ihren Arbeitsort bestimmen, Frankreich wehrt sich. Ein Ausweg wäre, dass im Parlamentsgebäude eine andere EU-Institution untergebracht wird.

Wien/Brüssel/Straßburg. Es ist ein einfaches Tauschgeschäft, mit dem das Ende des monatlichen Wanderzirkus von Brüssel nach Straßburg besiegelt werden soll. In dem Parlamentsgebäude im französischen Elsass, das nur 42 Tage im Jahr genutzt wird, könnte künftig eine andere EU-Institution fix installiert werden. Die Rede ist entweder vom Wirtschafts- und Sozialausschuss oder vom Ausschuss der Regionen, die derzeit beide in Brüssel tagen. Möglich sei auch die Einrichtung einer EU-Universität, bestätigen Insider der „Presse“ die informellen Gespräche. „Es ist durchaus sinnvoll, wenn endlich Bewegung in die Diskussion kommt. Wir werden ernster genommen“, meint auch EU-Abgeordnete Evelyn Regner (SPÖ).

Unter den Mandataren ist der doppelte Parlamentssitz – gelinde gesagt – unbeliebt. Deshalb starteten sie gestern, Mittwoch, einen neuerlichen Vorstoß für eine Zusammenlegung der Tagungsorte: Mit einer überwältigenden Mehrheit von 483 zu 141 stimmten die Parlamentarier dafür, dass das Abgeordnetenhaus künftig selbst über seinen Kalender und Arbeitsort entscheiden soll. Das eindeutige Votum kam zustande, da in der Entschließung die Reizworte „Brüssel“ und „Straßburg“ fehlten.

Gutes Geschäft für Straßburg

Nun fordern die Bürgervertreter allerdings auch eine Änderung der EU-Verträge, in denen die Tagungsorte des Parlaments klar festgelegt sind: Jährlich müssen zwölf Plenarsitzungen in Straßburg abgehalten werden, Ausschüsse und Fraktionssitzungen treten in Brüssel zusammen.

Das aber ist ein frommer Wunsch – es sei denn, die Regierung in Paris lässt sich von dem Tauschhandel, der derzeit auf diplomatischer Ebene hinter den Kulissen verhandelt wird, doch noch überzeugen. Frankreich wehrt sich seit Jahr und Tag gegen die Aufgabe des Straßburger Parlamentssitzes. Für eine Änderung der EU-Gründungsverträge ist aber Einstimmigkeit unter allen 28 Mitgliedstaaten erforderlich.

Für die Straßburger selbst ist der Wanderzirkus freilich ein gutes Geschäft: In der sonst beschaulich-ruhigen Elsass-Metropole herrscht während der Plenarwochen reges Treiben. Hotels in der Innenstadt sind trotz kräftiger Preisaufschläge meist lange im Voraus restlos ausgebucht, und auch im weiträumigen Umland fällt die Suche nach einer passenden Unterkunft schwer. Restaurants und Bars jeder Preisklasse sind abends brechend voll. Für die 270.000-Einwohner-Stadt am Rhein wäre das Ende der monatlichen Pendelei deshalb ein großer Verlust.

Doch die Argumente der Parlamentarier, dem Reisezirkus ein Ende zu setzen, wiegen schwer: Der logistische Aufwand ist enorm, weil einmal im Monat nicht nur alle 766 Abgeordneten, sondern auch deren Assistenten, ein Großteil der 3500 parlamentarischen Beamten und Dolmetscher aus Brüssel mitreisen.

Kosten bis 204 Mio. Euro

Unterlagen und wichtige Dokumente werden in eigenen, mit dem Namen des jeweiligen Mitarbeiters beschrifteten Containern von Brüssel in das über 400 Kilometer entfernte Straßburg transportiert. Damit verursacht die Pendelei nicht nur einen enormen Ausstoß von Kohlendioxid von 11.000 bis 19.000 Tonnen pro Jahr. Auch die Kosten sind mit 156 bis 204 Millionen Euro jährlich enorm – das sind zehn Prozent des parlamentarischen Gesamtbudgets. Hinzu kommt, dass in Straßburg nur etwa 100 Mitarbeiter permanent arbeiten, das Gebäude aber durchgehend beheizt wird. Zum Vergleich: In Brüssel sind über 4000 Menschen für das Parlament durchgehend tätig, in Luxemburg, wo sich wiederum ein Großteil der Verwaltung befindet, 2400 Menschen. Sie sind aber wenigstens nicht vom Wanderzirkus betroffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2013)

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