"Brüssel braucht mehr Politik, weniger Regulierung"

EU-Binnenmarktkommissar Barnier
EU-Binnenmarktkommissar BarnierDie Presse
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Michel Barnier kandidiert für die Barroso-Nachfolge. Im "Presse"-Gespräch mahnt er die Briten, die Freizügigkeit umzusetzen, erklärt die Reform der Banken und sagt, was er in Brüssel anders machen würde.

Die Presse: Der Binnenmarkt war bisher das unbestrittene Herz der Europäischen Union. Seit jüngster Zeit gibt es aber immer mehr politische Gruppen - auch in Österreich - die einen Kernbereich, die Personenfreizügigkeit, in Frage stellen. Ist das der Beginn eines Rückbaus des gemeinsamen Markts?

Michel Barnier: Da muss man Vorsichtig sein. Hier darf keinenfalls die Grundlage der Union in Frage gestellt werden. Das ist nun einmal der freie Verkehr von Personen, Dienstleistungen, Waren und Kapital. Gleichzeitig müssen die Regeln für die Freizügigkeit eingehalten werden. Dem ist ja nicht immer so. Die Debatte über die Entsenderichtlinie ist auch hilfreich, weil es hier Unterwanderung und Missbrauch gegeben hat. Zur Freizügigkeit gehören Rechte und Pflichten, an die sich jeder halten muss.

In Großbritannien hat sich sogar die Regierungspartei dafür ausgesprochen, die Freizügigkeit einzudämmen und EU-Bürger gegenüber Inländern zu diskriminieren. Kann das die EU-Kommission akzeptieren?

Das Vereinigte Königreich gehört zum Binnenmarkt. Es hat zwar eine Ausnahmeregelung beim Schengen-Abkommen. Was die Freizügigkeit anbelangt, so müssen die Regeln auch in diesem Land konsequent umgesetzt werden.

Sie sehen aktuell keine Probleme in Großbritannien?
Je nachdem, was die Regierung im Schilde führt, sie kann sowieso nicht Entscheidungen treffen, die im Widerspruch zu Binnenmarktregeln stünden.

Großbritannien hat auch im Finanzbereich seine Spezialinteressen, die es mit Vehemenz verteidigt.

Ich bin jetzt seit vier Jahren auch für Finanzdienstleistungen zuständig. Wir haben im Anschluss an die Krise 28 europäische Rechtsakte verabschiedet. Alle Märkte, Akteure und Produkte sind künftig von einer öffentlicher Regulierung und Aufsicht erfasst. Bei fast all diesen neuen Regeln haben wir letztlich auch die Unterstützung der britischen Regierung bekommen. Ich wollte, dass die City of London, der Hauptplatz der Finanzgeschäfte in Europa, mit an Bord genommen wird. Das war auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Es ist ja ein Glück für uns alle, dass die City zum Binnenmarkt gehört. Aus diesem Blickwinkel hoffe ich, dass die EU und Großbritannien weiter zusammengehören. Wir müssen zusammenbleiben, sonst würde das sowohl die EU als auch Großbritannien schwächen.

Sie haben diese Woche einen Vorschlag für Banken vorgelegt, um riskante Finanzgeschäfte vom normalen Einlagengeschäft zu trennen. Doch die Regelung soll nur für eine Handvoll größerer Banken gelten. Warum haben Sie hochriskante Finanzgeschäfte nicht gänzlich abgestellt?

Die meisten der von uns vorgelegten Rechtsakte betreffen alle Banken. Ob sie nun unter stringentere Aufsicht gestellt wurden, bessere Kapitalabsicherung vorweisen müssen oder die Einlagensicherung bis 100.000 Euro respektieren müssen. Dadurch sollen künftig Krisen abgewendet werden. Genügt das für alle Banken? Die Antwort lautet für die meisten Institute Ja. Für die größten Banken lautet meine Antwort aber: Nein. Es gibt etwa 30 Banken, deren Bilanzsumme größer ist als das Bruttoinlandsprodukt ihres Landes. Sie sind „too big to fail" " und zu komplex um abgewickelt zu werden. Für diese Banken habe ich nun diese neuen Regeln vorgeschlagen.

Einige Wirtschaftsprofessoren - vornehmlich in Deutschland - sind der Ansicht, dass es als Reaktion auf die Krise besser gewesen wäre, die Währungsunion in zwei Teile - einen Nord- und einen Süd-Euro - zu teilen. Was wäre die Konsequenz?

Ich verfolge mit großem Interesse die Anregungen aus der Welt der Hochschulen. Allerdings haben sich die europäischen Führungskräfte nicht für diese Richtung entschieden. Wir haben beschlossen, den Euro-Raum zu konsolidieren, seine Schwächen abzubauen. Die Krise hat gezeigt, welche Defizite die Regulierung der Finanzbranche aufweist, aber auch welche Schwächen beim konkreten Funktionieren des Euroraums vorhanden sind. Auch Österreich hat da ja einiges Unbill erlebt - etwa mit der Hypo Alpen Adria. Jacques Delors hat einst gesagt, es wird nicht funktionieren, eine Währungsunion ohne Wirtschaftsunion zu errichten. Und das stellen wir zur Zeit richtig. Mittlerweile stellt sich das Wirtschaftswachstum wieder ein, die Mitgliedstaaten bauen ihre Schulden ab - auch Frankreich, nicht nur Griechenland.

Wie wichtig ist der Bestand des Euro für den Erfolg des Binnenmarkts?

Beides gehört zusammen. Wir haben einst so sehr unter den Währungsspannungen auf dem gemeinsamen Markt gelitten. Mit der Einheitswährung haben wir nicht nur die Kosten für den Währungsumtausch beseitigt, sondern auch die Marktverzerrung durch Abwertung einzelner Währungen.

Sie wollen sich als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für die Europawahlen im Mai bewerben. Wenn Sie tatsächlich eine Chance bekommen, neuer Kommissionspräsident zu werden, was würden sie in dieser Institution gerne ändern?

Für mich ist die Zeit für eine Wahlkampagne noch zu früh, ich muss meine Arbeit für den Binnenmarkt abschließen und mich darauf konzentrieren. Ich habe mich klar geäußert. Ich wäre bereit, wenn das die EVP wünscht, als Spitzenkandidat zu agieren. Es geht dabei auch um den künftigen Kommissionspräsidenten, wie das der neuen, demokratischeren Verfahrensweise entspricht. Nach der Krise geht es jetzt inhaltlich darum, wieder Initiativen zu setzen für Wettbewerbsfähigkeit und für Wirtschaftswachstum. In den kommenden Jahren wird die große Herausforderung die industrielle Wettbewerbsfähigkeit Europas sein. Ich denke wir brauchen in Brüssel mehr Politik und weniger Regulierung. Und wir müssen auch mehr auf die Bürger, auf die Vertreter der Berufsverbände, auf die Zivilgesellschaft eingehen.

Zur Person

Michel Barnier. Der französische UMP-Politiker war Umwelt-, Außen- und Landwirtschaftsminister. Ab 1999 war er schon einmal Kommissar für Regionale Entwicklung und institutionelle Reformen. Seit 2010 ist er in der Kommission für den Binnenmarkt zuständig. Barnier bewirbt sich um die Spitzenkandidatur der EVP und könnte bei erfolgreicher Wahl Kommissionspräsident werden.

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