Abkommen EU-USA: Stimmungswandel bei Freihandel

(c) imago/Christian Mang (imago stock&people)
  • Drucken

In der EU will der Widerstand gegen den transatlantischen Handelspakt TTIP nicht nachlassen. Selbst Handelsketten beteiligen sich nun an der Kritik.

Brüssel. „Die zuletzt bekannt gewordenen Entwürfe lassen leider befürchten, dass die hohe Qualität österreichischer Lebensmittel durch das Abkommen gefährdet werden könnte“ – mit diesen Worten wandte sich Frank Hensel, seines Zeichens Leiter des Einzelhandelskonzerns Rewe, zu Wochenbeginn in einem offenen Brief an die österreichischen Europaabgeordneten. Bei dem angesprochenen Abkommen handelt es sich um die transatlantische Freihandelszone (TTIP), die von EU-Kommission und US-Regierung verhandelt wird – und für Hensel steht offenbar bereits jetzt fest, dass die österreichischen Verbraucher von einem etwaigen Abschluss nicht profitieren würden. Denn der Chef von Billa, Merkur, Penny und Adeg vermutet, dass TTIP zu einer Erosion der europäischen Umwelt- und Sozialstandards führen werde.

Hensels Wortmeldung ist nur der jüngste Höhepunkt einer seit Mitte 2013 andauernden Saga. Seit EU-Handelskommissar Karel De Gucht mit den Verhandlungen begonnen hatte, will die Kritik an der Vorgangsweise der Brüsseler Behörde und an dem Abkommen selbst nicht abreißen. Während die Kommission die ökonomischen Vorteile des Pakts hervorstreicht – TTIP soll die Wirtschaftsleistung der EU um einen halben Prozentpunkt bzw. 120 Milliarden Euro erhöhen und für 400.000 zusätzliche Arbeitsplätze sorgen –, werfen die Gegner des Abkommens Brüssel obsessive Geheimnistuerei vor und stellen die Sinnhaftigkeit von TTIP generell infrage. Am gestrigen Donnerstag berieten die Handelsminister der Union in Brüssel den aktuellen Stand der Dinge. Die nächste Verhandlungsrunde ist für die zweite Mai-Hälfte angesetzt, der Abschluss wird für Ende 2015 angepeilt.

Wichtiger EU-Lebensmittelmarkt

Die europäische Kritik an dem Abkommen lässt sich in drei Blöcke einteilen: Der offene Brief des Rewe-Chefs betrifft den ersten Block, den man mit dem Oberbegriff „Chlorhendl“ versehen kann. Es geht um die Angst vor US-Lebensmitteln, die nicht den bisherigen europäischen Normen entsprechen – wie etwa das angesprochene Hühnerfleisch, dass in den USA üblicherweise mit Chlor desinfiziert wird. Denn bei TTIP geht es vor allem um die sogenannten nicht-tarifären Handelshemmnisse – also unterschiedliche Standards, die den transatlantischen Handel behindern. Für die USA ist die Öffnung des EU-Lebensmittelmarkts ein prioritäres Ziel, denn bisher ist Europa für US-Landwirte schwer zugänglich – und das nicht nur wegen der Normen. Bei Milchprodukten etwa gilt in der EU immer noch ein Einfuhrzoll von knapp 53 Prozent, bei Süßwaren sind es 32,1 Prozent.

Ohne Entgegenkommen der EU ist ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen kaum denkbar, als möglicher Kompromiss gilt der Abbau von Barrieren bei gleichzeitig detaillierter Produktkennzeichnung. Eine Freigabe von bisher verbotenen Gentechnik-Lebensmitteln werde es aber auf keinen Fall geben, versichert die EU-Kommission.

Der zweite Block trägt die Bezeichnung Investitionsschutz – es geht um Klauseln, die es Unternehmen ermöglichen, Staaten vor einem internationalen Schiedsgericht zu verklagen, wenn ihr Geschäft von politischen Entscheidungen negativ betroffen wird. Widerstand gegen diese Schutzklauseln, die ursprünglich für Abkommen mit Entwicklungsländern konzipiert wurden, kommt unter anderem von der deutschen Regierung, während sich etwa Dänemark mit den Klauseln anfreunden kann. Derzeit liegt das Kapitel Investitionsschutz auf Eis, die Brüsseler Behörde holt Meinungen von außen ein, diese Konsultation läuft bis 9. Juli.

Dritter Knackpunkt ist gar nicht Bestandteil der Verhandlungen, obwohl es viele Europäer gerne hätten. Es geht um den Datenschutz, der spätestens seit der NSA-Spionageaffäre aktuell ist und der – so der Grundtenor der Kritik – von US-Konzernen klein geschrieben wird. Bis dato sind die Forderungen nach einem stärkeren Schutz personenbezogener europäischer Daten in den USA auf taube Ohren gestoßen.

„Buy American“

Diese innereuropäischen Scharmützel verdecken die Tatsache, dass auch die USA ihre liebe Not mit manchen Elementen des Abkommens haben. Denn damit TTIP eines Tages unterzeichnet werden kann, müssten die Vereinigten Staaten auf die traditionelle Bevorzugung heimischer Unternehmer bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und bei Waffenkäufen (sogenannte „Buy American“-Klauseln) verzichten. Auch bei der Bankenregulierung gäbe es Anpassungsbedarf.

AUF EINEN BLICK

Frank Hensel, der Chef des Einzelhandelskonzerns Rewe (Billa, Merkur, u.a.), warnt in einem offenen Brief an die österreichischen Europaabgeordneten vor dem transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP. „Die zuletzt bekannt gewordenen Entwürfe lassen leider befürchten, dass die hohe Qualität

österreichischer Lebensmittel durch das Abkommen gefährdet werden könnte“, schrieb Hensel zu Beginn der Woche. Man müsse bei den Verhandlungen mit den USA sicherstellen, „dass österreichische und europäische Umwelt- und Sozialstandards keinesfalls gesenkt und eine Angleichung allenfalls an den höheren Standard ermöglicht werden darf“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.