Italiens Außenministerin: „Europa muss die Gangart ändern“

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AUSTRIA ITALY DIPLOMACY(c) APA/EPA/DRAGAN TATIC (DRAGAN TATIC)
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Italiens Außenministerin will eine flexiblere EU-Sparpolitik und die Aufteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Staaten. Auf Juncker als Kommissionschef möchte sie sich nicht festlegen.

Die Presse: Keine andere EU-Regierungspartei war bei der Europawahl so erfolgreich wie Italiens Linksdemokraten. Will sich Italien in Europa mehr Gehör verschaffen? Es kursieren bereits Gerüchte über eine von Rom angeführte Anti-Austerity-Achse.

Federica Mogherini: Die privilegierte deutsch-französische-Achse muss beendet werden. Das heißt nicht, dass Italien sie durch eine italofranzösische oder italodeutsche Achse ersetzen will. Wir wollen nicht unsere Position in Europa dazu missbrauchen, um nationale Interessen durchzusetzen. Innerhalb der EU sollten künftig Entscheidungen stärker gemeinsam getroffen werden. Aber Europa muss seine Gangart ändern.

Also weniger sparen?

In den letzten Jahren waren Budgetsanierungen die einzige Antwort auf die Krise. Italien hat da sehr viel getan. Aber jetzt muss Priorität sein, das Wachstum anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Also Möglichkeiten zu finden, wie man die Haushalte in Ordnung halten und dabei gleichzeitig Raum für Investitionen schaffen kann. Wir müssen flexibler werden.

Premier Matteo Renzi sagte bereits, die Maastricht-Stabilitätskriterien seien nicht sakrosankt.

Wir halten uns an die Drei-Prozent-Grenze. Wir wollen keine Regeln brechen. Zentral ist die Frage, was man in die drei Prozent miteinberechnet und was man als „strategische Investition“ sieht. Es könnte bedeuten, dass man sich die Parameter noch einmal anschaut und sich überlegt, ob man sie anders interpretieren kann. Sogar in Deutschland gibt es Anzeichen für ein Umdenken.

Ist Rom dafür, dass Jean-Claude Juncker Kommissionschef wird?

Zentral für uns ist, was die neue EU-Kommission machen wird. Wir sollten jetzt über Inhalte reden – und nicht monatelang über potenzielle Kandidaten streiten.

Also gibt es noch keine Entscheidung Italiens zu Juncker.

Das Prozedere sollte sein, dass man innerhalb des EU-Rats und des EU-Parlaments einen Konsens findet – mit Berücksichtigung auf die politische Dynamik, die durch die EU-Wahl entstanden ist.

Das läuft wieder auf Entscheidungen hinter verschlossenen Türen hinaus. Besteht nicht die Gefahr, dass sich die Wähler betrogen fühlen?

Sicher haben einige ihre Stimme mit der Überzeugung abgegeben, damit auch den EU-Kommissionspräsidenten mitbestimmen zu können. Aber die Mehrheit hat abgestimmt, weil sie ein ganz bestimmtes Europa will – oder weil sie dieses Europa ablehnt. Diesen Menschen – viele von ihnen haben keinen Job – sind wir jetzt Antworten schuldig. Wir müssen ihnen Perspektiven bieten.

Ein Thema des italienischen EU-Semesters ab Juli wird illegale Einwanderung sein. Zehntausende Flüchtlinge sind allein heuer in Italien gestrandet, Ihre Regierung beklagte mehrmals, von der EU im Stich gelassen zu werden.

Priorität ist, das Leben dieser Flüchtlinge zu retten. Mithilfe der Operation Mare Nostrum tun wir, was wir können. Wir verlangen aber, dass Frontex (die EU-Grenzschutzagentur; Anm.) ihr Mandat erweitert und auch für Rettungsaktionen zuständig ist. Es ist eine Frage der Kapazitäten, der Ressourcen: Italien gibt allein mehr für Mare Nostrum als die EU für Frontex aus. Wir können uns das nicht leisten.

Welche weiteren Maßnahmen sind geplant?

Wir müssen auf verschiedenen Ebenen agieren. Es müssen die Wurzeln der illegalen Migration bekämpft werden: Gewalt und Armut in den Herkunfts- und Transitländern. In diesen Ländern muss sich Europa in Form von Entwicklungshilfe und durch die Unterstützung beim Aufbau von Institutionen noch stärker engagieren. Dass eine politische Stabilisierung den Migrationsfluss bremst, beweist Tunesien. Es kommen kaum mehr Einwanderer aus dem Land.

Wird sich Italien auch um eine Revision der EU-Asylgesetze bemühen? Derzeit gilt ja die Regelung, dass ein Flüchtling nur in dem EU-Land Asyl beantragen kann, in das er einreist.

Ja, wir müssen eine sinnvollere und vernünftigere Form finden, die Asylanträge auf europäischer Ebene zu regeln. Zumal immer mehr Flüchtlinge aus Konfliktregionen – Syrien, dem Horn von Afrika und der Sahara-Region – kommen und Asyl beantragen. Wir müssen auch über gemeinsame Regeln der Aufteilung der Flüchtlinge sprechen.

Länder wie Deutschland und Österreich sind dagegen.

Das ist uns bewusst.

Auch die Krise in der Ukraine wird Italien während des EU-Semesters beschäftigen. Sie sagten unlängst anlässlich Ihres Besuchs in den USA, dass die EU schärfere Sanktionen gegen Russland vorbereite.

Ich sagte, dass die EU schärfere Sanktionen als Druckmittel vorbereite. Ziel bleibt der Dialog – es gibt Signale, dass Gespräche zwischen Kiew und Moskau zustande kommen könnten. Ziel ist auch die Überwindung der Spaltungen innerhalb der Ukraine – mithilfe der internationalen Gemeinschaft, inklusive Russland.

ZUR PERSON

Federica Mogherini (40) ist seit Februar italienische Außenministerin. Ihre politische Laufbahn begann sie bereits 1996 in der Jugendorganisation der Linksdemokraten. Bevor sie Außenministerin wurde, war sie für die Europapolitik der Partei zuständig. Die Politikwissenschaftlerin traf in Wien mit Außenminister Sebastian Kurz zusammen und nahm an der Balkankonferenz (siehe Artikel rechts) teil.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2014)

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