Fluchtwelle: EU stoppt griechisches Drama

(c) EPA (Stefanos Rapanis)
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Die Grenzschutz-Agentur Frontex startet neuen Einsatz in der Ägäis. Griechenland ist mit Zustrom überfordert.

WIEN/BRÜSSEL. Sie kommen aus dem Irak, aus Afghanistan und aus Afrika. Zu Tausenden versuchen sie derzeit mit Hilfe von Schleppern über die Türkei auf griechische Inseln zu gelangen. Nach den dramatischen Fluchtwellen auf die Kanarischen Inseln und nach Südspanien braut sich dieses Jahr in Griechenland ein neues Flüchtlingsdrama zusammen. Nach einem Hilferuf der griechischen Regierung beim EU-Innenministertreffen im April und nach einer weiteren Zuspitzung soll schon in den nächsten Tagen ein Einsatz der europäischen Grenzschutzagentur Frontex die Lage wieder ins Lot bringen. Das bestätigte Robert Strondl, der österreichische Verwaltungsratsvorsitzende der Agentur, bei einer Informationsveranstaltung der Vertretung der EU-Kommission in Wien.

Strondl berichtet von einem „deutlichen Anstieg“ der illegalen Zuwanderung nach Griechenland. Laut der griechischen Nachrichtenagentur ANA haben in den vergangenen zwölf Monaten nicht weniger als 115.000 Personen versucht, nach Griechenland zu kommen. Auch in der EU-Kommission geht man davon aus, dass Griechenland derzeit das Hauptziel von illegalen Einwanderern ist. Die meisten von ihnen kommen auf dem Seeweg, viele aber auch über die albanische Grenze.

Auf der Insel Leros wollte der Präfekt vergangenes Wochenende sogar den Ausnahmezustand ausrufen, nachdem innerhalb von nur drei Tagen 300 Zuwanderer gestrandet waren. „Griechenland ist eindeutig der Hot Spot an den externen Grenzen der EU“, bestätigt ein Sprecher der Frontex-Zentrale in Warschau der „Presse“. „Der Zulauf steigt und steigt, während er etwa zwischen Nordafrika und Spanien seit 2006 dank der immer besseren Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik und dank Frontex sinkt.“

Die griechischen Grenztruppen und Behörden sind völlig überfordert. Flüchtlingsorganisationen berichten von gewaltsamen Versuchen der griechischen Grenzwache, Boote in türkische Gewässer zurückzudrängen. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR hat zwar erste Verbesserungen in den Aufnahmelagern erreicht, kritisiert aber noch immer „menschenunwürdige“ Zustände. Es könne auch nicht gewährleistet werden, dass Asylberechtigte ein faires Asylverfahren erhalten, so UNHCR-Sprecher Roland Schönbauer. Zuletzt hat das UN-Kommissariat deshalb alle EU-Staaten aufgefordert, keine Flüchtlinge mehr nach Griechenland zurück zu schieben. Ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission beim Europäischen Gerichtshof ist ebenfalls anhängig. Bei einer Verurteilung drohen Griechenland saftige Strafen.

Die neue Frontex-Operation hat den klingenden Namen „Poseidon“. Sie soll die griechischen Grenztruppen und Behörden in den nächsten Monaten bei der Bewältigung der Flüchtlingswelle unterstützen. Details gibt Frontex nicht bekannt, weil man den Erfolg des Einsatzes nicht gefährden wolle. Mit gemeinsamen Operationen vor der griechischen Küste und mit Hilfe bei der Registrierung von Flüchtlingen soll auch die humanitäre Situation verbessert werden. Frontex, so Strondl, sorge bei ihren Einsätzen dafür, dass Menschenrechtsstandards eingehalten werden – „das betrifft auch das Asylrecht“. Auch Friso Roscam Abbing, Sprecher des scheidenden EU-Innenkommissars Franco Frattini, spricht von einem „humanitären Zweck“ von „Poseidon“: Der Einsatz werde „Leben retten“ – wenn sich Flüchtlinge auf den gefährlichen Seeweg in die EU gemacht haben und zu ertrinken drohen. Für andere werde die Operation eine Warnung vor der illegalen Einreise sein.

Unter griechischen Diplomaten befürchtet man, dass „Poseidon“ gegen den Zustrom längst nicht ausreichen wird: „Das ist nur ein ganz, ganz, ganz kleiner Teil.“

FRONTEX

Die Grenzschutzagentur hat seit 2005 ihren Sitz in Warschau. Ihr Ziel ist die bessere Sicherung der EU-Außengrenzen. Das Jahresbudget beträgt derzeit 70 Millionen Euro. Zum Aufgabengebiet gehören auch gemeinsame Einsätze wie nun in der Ägäis. Frontex ist dabei auf Mithilfe der Mitgliedstaaten angewiesen, die Personal, Schiffe, Flugzeuge und Hubschrauber zur Verfügung stellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2008)

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