Ein Jahr nach Kroatiens Beitritt: Stillstand

KROATIENS AM PUSIC BEI AM SPINDELEGGER
KROATIENS AM PUSIC BEI AM SPINDELEGGER(c) APA/DRAGAN TATIC (DRAGAN TATIC)
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Die Erwartungen der meisten Kroaten waren bescheiden. Doch selbst diese haben sich im ersten Jahr der EU-Mitgliedschaft nicht erfüllt. Investoren machen einen Bogen um das Land.

Knin. Von den Zinnen der Festung der Garnisonsstadt Knin weist Ante Slavić auf das Gelände seines früheren Arbeitgebers: Über 3000 Arbeiter habe die Schraubenfabrik einst beschäftigt, „jetzt ist es nur noch ein Zehntel“, erzählt der frühere Schlosser. Es war der 1991 ausgebrochene Kroatienkrieg, der nicht nur das Leben von Ante aus den Bahnen geworfen hat. Die ganze Stadt habe im Krieg den Großteil ihrer früheren Firmen und Einwohner – und somit Jahre ihrer Entwicklung verloren, sagt der auf einen Stock gestützte Kriegsveteran: „Krieg ist nicht wie im Film. Krieg ist nur schrecklich.“

Als Symbol des Streits um die kroatische Unabhängigkeit hatte das hart umkämpfte und jahrelang von serbischen Paramilitärs kontrollierte Knin gegolten. Knapp zwei Jahrzehnte nach Ende des Kriegs wirkt die verarmte Stadt wie ein trauriges Symbol für Kroatiens Stillstand.

Als „sehr erfolgreich“ preist Kroatiens Außenministerin Vesna Pusić das erste Jahr in Europas Wohlstandsbündnis. Von einem Fehlstart und einem Jahr der verpassten Chancen sprechen indes die heimischen Analysten. Vor allem die politische Elite habe die Möglichkeiten der EU-Mitgliedschaft nicht genutzt, konstatiert der Zagreber Politologe Nenad Zakosek. „Die Kroaten sind enttäuscht von der EU – und die EU von Kroatien“, umschreibt der Analyst Davor Gjenero die trübe Stimmung.

Drei Jahre lebte Marko Kalat nach dem Krieg als Flüchtling im serbischen Valjevo, bevor er 1998 in seine Heimatstadt Knin zurückkehrte. Obwohl die Serben mittlerweile nur noch ein knappes Viertel der Bevölkerung in der auf 15.000Einwohner geschrumpften Stadt stellten, gebe es im Umgang mit den Kroaten „kaum mehr Probleme“, versichert der hochgewachsene Kellner. Zu schaffen mache allen jedoch der völlige Stillstand der Stadt: „Es bewegt sich nichts. Nur vor den Wahlen reisen die Politiker aus Zagreb an, versprechen viel – und verschwinden dann wieder.“ Von der EU-Mitgliedschaft sei „nichts zu merken“: „Es ist alles wie zuvor. Manchmal frage ich mich, ob wir überhaupt in der EU sind.“

Sechstes Jahr Rezession

Tatsächlich ist ein Ende des Krisentals für den EU-Neuling nicht in Sicht. Im sechsten Jahr in Folge muss der Adria-Staat neben Zypern als einziger in der EU mit einem Minuswachstum rechnen. Wegen der ausufernden Haushaltslücke leitete Brüssel zu Jahresbeginn zudem ein Defizitverfahren gegen den EU-Neuling ein. Fast jeder zweite Jugendliche ist ohne Job. Die ausländischen Direktinvestitionen sind im Beitrittsjahr 2013 um satte 60 Prozent zurückgegangen. „Kroatien ist es nicht geglückt, die Früchte des EU-Beitritts zu ernten“, titelt die Zeitung „Večernji List“. Es habe Griechenland als das „am schlechtesten funktionierende Land“ der EU abgelöst, ätzt die britische „Financial Times“.

Nein, einen Nutzen habe Knin vom EU-Beitritt noch nicht verspürt, räumt der stellvertretende Bürgermeister Nikola Blazević offen ein: „Wir bräuchten eine kräftigere Unterstützung Zagrebs, um die Entwicklungsfonds der EU zu nutzen.“ Nicht nur der Transitverkehr, sondern auch Investoren würden derzeit „einen Bogen“ um die Stadt machen: „Ohne kräftigere Anreize kommt niemand zu uns.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2014)

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