Das „Facebook für Politiker“ kommt nach Europa

FERMANY MEDIA POLITICO
FERMANY MEDIA POLITICO(c) APA/EPA/CHRISTOPH SCHMIDT
  • Drucken

Die US-amerikanische Nachrichtenorganisation Politico und der deutsche Axel-Springer-Konzern machen in Brüssel gemeinsame Sache.

Politik als American-Football-Match, in dem jeder Spielzug geplant und in einem geheimen Playbook niedergeschrieben wird: Mit diesem Verständnis von den Vorgängen im US-Kongress, im Weißen Haus und in der wachsenden Klasse von Lobbyisten und Einflüsterern hat „Politico“ im Jahr 2007 die politische Berichterstattung über Washington beschleunigt und – wie Kritiker meinen – trivialisiert.

Nun bereitet die amerikanische Nachrichtenorganisation den Sprung nach Europa vor; am Dienstag gaben der deutsche Zeitungskonzern Axel Springer („Bild“-Zeitung“, „Welt“) und Politico die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens mit Sitz in Brüssel bekannt. „Das neue digitale Medienangebot soll fundierte Berichterstattung über europäische Politik bieten“, teilte Springer mit. „Wir können Ihnen sagen, dass dies ein 50:50-Gemeinschaftsunternehmen ist und nicht nur Brüssel, sondern europäische Politik im weiteren Sinn abdecken wird“, gaben die Politico-Gründer John F. Harris und Jim VandeHei bekannt. Mehr Informationen soll es erst nächste Woche geben.

Harris und VandeHei sind frühere „Washington Post“-Reporter, Politico gehört seit August dem an der New Yorker Börse Nasdaq notierten US-Kabelfernsehkonzern Sinclair Broadcast Group.

Kleinigkeiten künstlich aufblasen

Das journalistische Herz des Mediums, das als Website und als Hochglanzmagazin veröffentlicht wird, schlägt in der Brust von Mike Allen, eines weiteren Veteranen der „Post“. Jeden Tag – und zwar wirklich jeden Tag – verschickt er frühmorgens sein Playbook: eine Sammlung zahlloser Häppchen über alles, was man seiner Meinung nach als Bewohner der Washingtoner Politikblase zu wissen hat: von zu erwartenden Presseaussendungen diverser Kongressmitglieder über Augenzeugenberichte möglicherweise konspirativer Arbeitsfrühstücke bis zu den Geburtstagen von jedem und allen, die auch nur ephemer mit dieser Politikmaschine zu tun haben.

Die Journalisten von „Politico“ sind eifrig, bestens vernetzt und kenntnisreich. Allerdings tendieren sie dazu, jede Kleinigkeit künstlich aufzublasen und das Unwesentliche bloß hervorzuheben, um den Nachrichtenzyklus am Laufen zu halten. Kritiker finden, dass das der Öffentlichkeit ein falsches Verständnis von Politik gibt. „Ich bin seit fast 30Jahren in Washington. Hier ist die überraschende Realität: An den meisten Tagen passiert nicht viel“, sagt Mark Salter, der frühere Stabschef des republikanischen Senators John McCain in „This Town“, dem Verriss der Washingtoner Klasse, mit dem sich Mark Leibovich, der Chef des „New York Times Magazine“, eine Menge Feinde gemacht hat. Die Köpfe hinter „Politico“ geben zu, die narzisstischen Triebe des politischen Personals befriedigen zu wollen. „Playbook ist das Facebook für D.C. Und Mike (Allen, Anm.) ist der beliebteste Freund.“

Die bisweilen selbstbezügliche Klasse der EU-Abgeordneten, nationalen Diplomaten und Lobbyisten in Brüssel erscheint als ideale Zielgruppe für „Politico Europe“. Aber es gibt bereits mehrere Medien, die diese politische Maschine bedienen, allen voran die „European Voice“, die zur „Economist“-Verlagsgruppe gehört, und die „Financial Times“, die wichtigste Quelle für Gerüchte und platzierte Storys aus der und für die EU-Blase ist. Kein Zufall, dass „Politico“ dem Brüsseler Büroleiter der „Financial Times“, dem Amerikaner Peter Spiegel, den Chefposten bei „Politico Europe“ angeboten hat. Spiegel lehnte ab. Dass er keine Fremdsprachen beherrscht, hätte seinen Umgang mit dem deutschen Springer-Management ohnehin nicht erleichtert.

Für Springer ist die Politico-Beteiligung die erste echte journalistische Investition seit dem Verkauf seiner Regional-, Frauen- und TV-Zeitschriften an die Funke-Gruppe („Kronen Zeitung“) um 920 Mio. Euro. Dabei geht es dem Konzern weniger darum, Geld zu verdienen, als vielmehr darum, in der Europa-Politik ein machtvolles Organ zu werden. Fraglich bleibt, ob das mit aufgeregtem Häppchenjournalismus gelingt, auch wenn das bei der „Bild“-Zeitung bisweilen funktioniert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.