Irlands Regierung panisch: EU-Nein ist möglich

(c) EPA (Aidan Crawley)
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Referendum. Die Versuche, den EU-Vertrag der Bevölkerung zu erklären, sind gescheitert. Eine Mehrheit will mit Nein stimmen, weil sie den Rechtstext nicht versteht. Mit einem Kraftakt will Dublin noch das Ruder herumreißen.

Dublin/LONDON/WIEN. Die irische Regierung zieht alle Register, um am kommenden Donnerstag doch noch ein Ja zum EU-Vertrag zu erreichen. Wenige Tage vor der für ganz Europa entscheidenden Volksabstimmung mobilisiert die Führung in Dublin noch einmal alle Interessengruppen des Landes. Mit politischen Zusagen, die bis zu einer möglichen Blockade der WTO-Verhandlungen reichen, ist es ihr sogar gelungen, in letzter Minute den wichtigsten Landwirtschaftsverband und die Gewerkschaften ins Boot des Ja-Lagers zu holen.

Der Anlass für diese Mobilisierung sind die letzten Umfragewerte: Eine Befragung der „Irish-Times“ sieht die Gegner des EU-Vertrags mit 35 zu 30 Prozent erstmals klar in Führung. Gegenüber der letzten Umfrage der Zeitung vor drei Wochen haben sich die Nein-Stimmen verdoppelt, das Ja-Lager hat um fünf Prozentpunkte verloren und Unentschlossene gehen überwiegend zu den Gegnern über. Obwohl Premierminister Brian Cowen seine Partei antreibt, ein klares Zeichen pro Europa zu setzen, folgen ihm nicht einmal alle eigenen Anhänger. Von den Wählern seiner Partei Fianna Fáil will jeder Vierte gegen den Vertrag stimmen.

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Die jüngste Umfragen macht auch eine deutliche Kluft zwischen reicheren und ärmeren Bevölkerungsschichten deutlich. Während gut ausgebildete Besserverdiener zu einem Großteil für den EU-Vertrag sind, lehnen ihn weniger wohlhabende Iren ab. Das Momentum ist damit eindeutig auf der Seite des Nein-Lagers, und nur ein „noch nie dagewesener Umschwung“ (so die „Irish Times“) könnte in den letzten Tagen noch einen Annahme des Vertrags bringen.

Hoffnung auf die Kirche

Nach der Veröffentlichung des verheerenden Umfrageergebnisses hofften im katholischen Irland Vertreter des Ja-Lagers nicht so sehr auf ein Wunder als auf ein klärendes Wort von der Kanzel am Sonntag. „Es wäre sicherlich nützlich, wenn die Kirche sich deutlicher erklärt“, hieß es hinter vorgehaltener Hand. Bisher hat die Kirche nur klargestellt, dass der Vertrag keine Änderung etwa am irischen Abtreibungsgesetz bringen werde.

Als Grund für ihre Nein-Entscheidung, geben viele Wähler an, dass sie über den Inhalt des Vertrags zu wenig wüssten oder diesen einfach nicht verstanden hätten. Die Kampagne der Regierung, die mit mehreren Millionen Euro finanziert wurde, ist offensichtlich fehlgeschlagen. Die Regierung legte tausende Gratisbroschüren auf, um den Vertrag zu erklären und für eine positive Stimmung zu sorgen. Stattdessen punkten vor allem die Gegner des Vertrags. Sie führen wenige, aber emotional besetzte Gründe gegen den EU-Vertrag an, in dem sie auf einen möglichen Verlust der nationalen Souveränität bei heiklen Fragen wie Steuern, Sicherheitspolitik und Abtreibung verweisen.

„Das Problem mit dem Vertrag ist, dass schwer zu erklären ist, wofür er steht. Maastricht war der Euro, Nizza die Erweiterung. Aber Lissabon?“, fragt Brigid Laffan, Professorin für europäische Geschichte am Universität College Dublin. Nur mit einer „außerordentlichen Anstrengung aller Befürworter“ sei jetzt noch ein Ja zu dem Vertrag zu erreichen. Dazu gehöre auch, den Iren die Folgen eines Neins vor Augen zu führen: „Das wird sehr ernst sein“, ist die Politologin überzeugt.

Eine Studie der Bertelsmann Stiftung, stellt offen fest, dass ein Nein der Iren am 12. Juni eine „europäische Katastrophe“ wäre. Denn es gebe kaum Handlungsalternativen. Lehnen die Iren kommende Woche den Vertrag ab, so sind sich auch die meisten EU-Diplomaten einig, könne das Vertragswerk nicht nochmals einer Volksabstimmung im selben Land unterzogen werden. „Es wäre das Ende. Und wir hätten eine neue Krise.“

Aus dem irischen Außenministerium war gestern von Mitarbeitern zu erfahren, „die in Verzweiflung sind: Sie verbringen ein Leben, die Interessen Irlands zu verteidigen, und jetzt droht die komplette Ablehnung.“ Befürworter machten sich Mut damit, dass die Umfrage vor den Stellungnahmen der Bauern und der Gewerkschaften für den Vertrag durchgeführt wurde. Doch das klingt bereits nach Pfeifen im dunklen Wald. Denn schon bisher stand praktisch das gesamte politische Establishment hinter dem Vertrag.

Fatale Parallelen zum Nizza-Vertrag

Mit einem Nein in Irland wird auch deshalb gerechnet, weil es fatale Parallelen zur Ablehnung des Nizza-Vertrags bei der irischen Volksabstimmung im Jahr 2001 gibt. Auch damals kippte die Stimmung im letzten Moment ins Negative. Die vielbeschworene EU-Begeisterung des Landes – Irland hat über Jahre von Subventionen aus Brüssel profitiert – hat sich in den letzten Jahren deutlich abgeschwächt.

Mit Sorge wird das mögliche Nein in Irland in den anderen EU-Mitgliedstaaten registriert. Zwar hat die irische Regierung die EU-Partner in den letzten Tagen beruhigt, dass ein positiver Ausgang der Volksabstimmung noch immer möglich sei. Immerhin ist jeder dritte Wähler noch unentschlossen. Doch fürchten die restlichen EU-Regierungen laut einem hochrangigen Diplomaten bereits eine neue Krise mit unabsehbarem Ausgang auf sich zukommen.

Kommentar Seite 47

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2008)

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