Europa macht Grenzen (fast) dicht

(c) AP (Santiago Ferrero)
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Der französische Vorsitz gab Spanien nach: Auch Wirtschafts-Flüchtlinge bekommen eine Chance. Dies müsse aber „von Fall zu Fall“ geprüft werden, so heißt es im Text der EU-Minister.

CANNES. Die EU schottet sich stärker von Zuwanderern ab. Illegale Einwanderer sollen es in Europa bald schwerer haben, wenn sie in ihrer Heimat nicht politisch verfolgt wurden, sondern nur aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa gekommen sind. Die 27 Mitgliedstaaten wollen sich zusammentun: Abschiebungen in die Herkunftsländer der Immigranten sollen künftig schneller vollzogen werden, es soll gemeinsame Flüge zurück geben, Asylanträge sollen genauer geprüft, Daten zwischen den Ländern besser erfasst und ausgetauscht werden. Und die Polizei soll dank Praktika in anderen Mitgliedstaaten („Erasmus“ für Polizisten) und einer intensiveren Ausbildung stärker kooperieren.

Wer in Europa eine neue Arbeitsstelle sucht, wird aber nicht prinzipiell abgewiesen. Einzelne Länder werden die Möglichkeit bekommen, einer überschaubaren Zahl von Personen eine „Hintertür“ nach Europa zu öffnen – wenn Inländer auf dem Arbeitsmarkt dadurch nicht zu kurz kommen.

Das sind die Hauptbestandteile des EU-Pakts für Einwanderung und Migration, auf den sich die Justiz- und Innenminister der EU27 gestern, Montag, im französischen Cannes an der Côte d'Azur einigten. Bis in die Abendstunden wurden einen Steinwurf von Sandstrand und Palmen entfernt die Details verhandelt. Das letzte Wort über den Einwanderungspakt haben die Staats- und Regierungschefs bei ihrem nächsten EU-Gipfel Mitte Oktober in Brüssel. Für Österreich war am Montag die neue Innenministerin Maria Fekter (VP) dabei.

Wirtschaftliche Gründe

Dass die „Festung Europa“ künftig nicht gänzlich für Zuwanderer ohne Asylgrund geschlossen sein wird, liegt vor allem am heftigen Druck, den Spanien im Vorfeld auf die Justiz- und Innenminister seiner EU-Partnerstaaten und auf die französische EU-Präsidentschaft ausgeübt hatte: Madrids Innenminister Alfredo Perez Rubalcaba forderte seine Amtskollegen dringend auf, Ausnahmen zuzulassen und auch Wirtschaftsflüchtlingen in den EU-Ländern, die das wollen, eine Chance zu geben. Denn der Wohlstand seines Landes stehe und falle geradezu mit den (Billig-)Arbeitskräften aus Nicht-EU-Staaten, insbesondere aus Nordafrika. Hunderttausende waren in den Vorjahren bereits illegal auf den Feldern in der Landwirtschaft oder in der spanischen Gastronomie tätig gewesen. Am Ende – nach jahrelangen inoffiziellen Aufenthalten – legalisierte die Regierung deren Status. Allein 2005 waren es 700.000, die eine Aufenthaltsgenehmigung in ihrer neuen Heimat Spanien erhielten.

„Von Fall zu Fall“ prüfen

Aus „humanitären“ (wie schon bisher), aber auch „wirtschaftlichen Gründen“ solle es künftig möglich sein, solche Einwanderer im Land zu halten und ihnen das Aufenthaltsrecht zu gewähren – per nationalen Bestimmungen. Dies müsse aber „von Fall zu Fall“ geprüft werden, so heißt es im Text der EU-Minister zum „Einwanderungspakt“, auf den die Länder schließlich einschwenkten: Eine Massenlegalisierung wie zuletzt durch die spanische Regierung wird künftig nicht mehr möglich sein. Ursprünglich hatte der französische EU-Vorsitz noch höhere Hürden für Immigranten geplant.

Österreichs Innenministerin Fekter positionierte sich in Cannes als Hardlinerin und gab für ihr Land vor: Bei der (nationalen) Vergabe des Aufenthaltsrechts müsse weiterhin unterschieden werden zwischen „Verfolgten, die Asyl beantragen und für die wir immer schon offen waren, und Zuwanderern aus wirtschaftlichen Gründen“, die das System überlasten würden.

EU-Experten gehen davon aus, dass sich in den Mitgliedstaaten derzeit rund acht Millionen illegale Einwanderer aufhalten. Nur ein geringer Teil beantragt überhaupt Asyl, weil die Betroffenen bei einem negativen Bescheid innerhalb weniger Tage in die Heimat zurück müssten. Viele Zuwanderer reisen über ein Tourismus- oder Studentenvisum ein und bleiben nach Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung in der EU. Sie tauchen einfach unter.

IN ZAHLEN

Auf acht Millionen schätzt die EU-Kommission die Zahl der illegalen Einwanderer, die sich zurzeit in den 27 Mitgliedstaaten aufhalten. Neben dem traditionellen Zielland Italien zählen heute Griechenland, Frankreich, Zypern, Malta und Spanien zu den Hauptbetroffenen von Flüchtlingsströmen aus dem Süden, insbesondere aus Nordafrika (Libyen, Tunesien).

Gemessen an der Bevölkerung lag im Jahr 2005 Malta mit sechs Aufgriffen pro 1000 Einwohnern vor Griechenland (5,3 pro 1000 Einwohnern). Österreich belegte mit 4,62 Aufgriffen pro 1000 Einwohnern Platz 3. Die meisten kamen hier aber nicht aus dem Süden, sondern aus dem Osten.

Brennpunkt neben Malta ist die Insel Lampedusa (Italien) mit rund 20.000 Bootsflüchtlingen jährlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2008)

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