Sieg der Industrie: Klimaziele für Pkw abgeschwächt

(c) AP (Michael Probst)
  • Drucken

Das EU-Parlament lockerte die Grenzwerte für Autos. Auch an die Schwerindustrie dürfte es Zugeständnisse geben. Viele Umweltschutz-Organisationen sehen den Kompromiss negativ.

BRÜSSEL. Die Autoindustrie kann aufatmen: Sie muss voraussichtlich doch nicht so viel zum Umweltschutz in Europa beitragen wie von der EU-Kommission ursprünglich geplant. Die Grenzwerte für ihre Autoflotten ab 2012 dürften doch nicht so streng ausfallen wie noch in einem Entwurf der EU-Verwaltungsbehörde von Anfang des Jahres vorgesehen. Darauf einigten sich Anfang der Woche die EU-Parlamentarier in informellen Gesprächen mit dem französischen EU-Ratsvorsitz. Ursprünglich wollte die Kommission, die oberste Verwaltungsbehörde Europas, ab 2012 durchschnittlich maximal 120 Gramm CO2(Kohlendioxid) pro gefahrenem Kilometer und Flotte durchsetzen. Nun soll dieses Limit für die gesamte Flotte jedes Herstellers erst ab 2015 gelten, davor nur für einen Teil der Produktion.

Unter den Verhandlern des EU-Parlaments kann man sich also ein Einlenken im Sinne der Autoindustrie vorstellen. Entscheiden werden aber alle 785 EU-Abgeordneten im Plenum, auch der Rat aller 27 EU-Länder muss dem Plan erst zustimmen. Die entscheidende Weichenstellung wird für den EU-Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am 11. und 12. Dezember in Brüssel erwartet.

In den Mitgliedstaaten, allen voran in der „Pkw-Hochburg“ Deutschland, war der Druck gestiegen, die EU-Klimaziele doch nicht so hoch wie geplant anzusetzen. Die Existenz von Autoherstellern und Zulieferbetrieben – viele davon in Österreich – dürfe nicht gefährdet werden. Vor allem die Hersteller von schweren und damit besonders umweltschädlichen Autos wären sonst bedroht.

Der Kompromiss sieht nun folgende Regeln vor:


Langfristig 95 Gramm CO2: Grundsätzlich werden maximal durchschnittlich 120 Gramm CO2 pro gefahrenem Kilometer und Flotte ab 2012 angestrebt, zu 100 Prozent verbindlich soll das aber erst ab 2015 werden (siehe unten). Derzeit sind es in der EU maximal 160 Gramm CO2. Auf maximal 130 Gramm sollen die Hersteller künftig kommen, indem sie die Motoren modernisieren. Weitere 10 Gramm sollen sie durch sonstige Technik einsparen, etwa durch bessere Reifen oder Biotreibstoff. Langfristig – bis 2020 – soll es gelingen, dass neue Flotten durchschnittlich nur noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen.


Etappenziele: In einer Art Eingewöhnungsphase sollen Automobilhersteller nicht gleich 2012 die 120 Gramm CO2 erreichen müssen. 2012 müsste dieses Ziel dem Kompromiss zufolge nur auf 65 Prozent der Flotte eines Herstellers zutreffen. 2013 müsste das schon bei 75 Prozent, 2014 bei 80 Prozent der Flotte der Fall sein. Ab 2015 würde die EU-Kommission dann die vollen 100 Prozent der Autos einer Flotte berücksichtigen. Werden die maximal 120 Gramm CO nicht erfüllt, müssten die Hersteller zum Teil hohe Geldstrafen zahlen.


Volle Strafe erst ab 2019. Von 2012 bis 2018 sollen allerdings niedrigere Geldstrafen als ursprünglich geplant gelten: 5 Euro für das erste Gramm CO2, das „zu viel“ ist, 15 Euro für das zweite, 25 Euro für das dritte und 95 Euro für das vierte sowie jedes weitere Gramm CO2. Ab 2019 sollen Hersteller dann die vollen 95 Euro schon ab dem ersten überschüssigen Gramm CO2zahlen müssen.

Viele Umweltschutzorganisationen sehen den – bisher inoffiziellen – Kompromiss negativ. Sie hoffen, dass die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel auf den strengeren Zielen beharren werden. Der französische Vorsitz wird dem Vernehmen nach aber auf den neuen Plan drängen. Dieser gefährdet das gesamte Klima- und Energiepaket der EU-Kommission vom Jahresbeginn, von dem die Autolösung aber nur ein Teil ist. Unter anderem sieht das Paket minus 20 Prozent beim CO2-Ausstoß in ganz Europa bis 2020 vor. 12 Prozent davon werden derzeit von Pkw verursacht.

Schutz für die Schwerindustrie

Ob das Klimapaket, wie vom EU-Vorsitz geplant, noch 2008 von den 27 EU-Staaten abgesegnet wird, ist offen. Vor allem osteuropäische Länder drängen auf Erleichterungen, insbesondere die Schwerindustrie solle weiterhin zum Nulltarif CO2 ausstoßen dürfen. Auch Österreich will Sektoren mit hohem Energieverbrauch schützen: von der Stahl- bis zur Aluminiumindustrie.

DER FAHRPLAN

Diese Woche haben die Verhandler des EU-Parlaments die Weichen für eine Einigung des Parlaments mit dem Rat der EU-Staaten über die neuen CO2-Limits für Pkw gestellt: Erst ab 2015 statt schon ab 2012 sollen maximal 130 Gramm CO2 pro Kilometer und Auto gelten, bis dahin muss nur ein Teil der Flotte eines Herstellers dieses Ziel erfüllen. Auch Strafen sollen erst ab 2019 voll gelten.

Am 11. und 12. Dezember werden die Regierungschefs beim EU-Gipfel darüber beraten, danach das Plenum des Parlaments. Noch 2008 könnten sie sich einigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.