Pharma-Industrie: Mit teuren Tricks gegen billige Pillen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die EU-Wettbewerbs-Hüter schlagen Alarm: Konzerne, deren Patente ablaufen, blockieren die Einführung von Generika. Nun drohen Klagen.

Brüssel. Was man bei einer Razzia so alles finden kann: „Wir haben Möglichkeiten, wie wir zu Patenten kommen, mit dem einzigen Ziel, die Handlungsfreiheit unserer Konkurrenten einzuschränken.“ So steht es, schwarz auf weiß, in einem internen Memo eines großen Pharmakonzerns. Es geht um einen der Tricks, mit denen Hersteller von Originalmedikamenten die Einführung von billigen Generika verzögern, blockieren oder ganz verhindern – nachzulesen in einem aktuellen Bericht der EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes.

Im Jänner gab es eine Razzia bei Glaxo-Smithkline, Astra-Zeneca und anderen Großen der Branche, jetzt liegen Ergebnisse vor. Das Fazit: Wenn die Patente für Medikamente ablaufen, werden die Konzerne kreativ. Nur offenbar weniger in den Forschungslabors, um neue Produkte zu entwickeln, sondern mehr in den Rechtsabteilungen, um die alte „Cash Cow“ möglichst lange zu melken. Denn wenn erst einmal preisgünstige Nachahmer-präparate auf dem Markt sind, geht es mit dem Preis des bisherigen Ertragsbringers rapide bergab – im Schnitt um 20 Prozent schon im ersten Jahr. Erfreulich für Kassen und Beitragszahler, ärgerlich für die Konzerne. Doch die wissen sich zu helfen. Sieben Monate vergehen im Normalfall vom Auslaufen eines Patents bis zur Einführung eines Generikums, oft dauert es weit länger. „Immergrüne Patente“ lautet das Ziel im Branchenjargon. Ein raffinierter Trick ist das „Patentgestrüpp“. Statt pro EU-Land nur ein Patent anzumelden, reichen die forschenden Firmen für dieselbe oder eine nur leicht abgewandelte Medizin jede Menge Anträge ein – in einem Fall waren es 1300. Vor allem kleinere Generikahersteller werden durch diese wundersame Patentvermehrung eingeschüchtert. Sie wissen nicht mehr, wann sie mit der Produktion starten dürfen – und lassen es oft ganz bleiben. Wie beliebt diese Methode ist, lässt sich aus den Statistiken des Patentamts ablesen: Zwischen 2000 und 2007 hat sich die Zahl der Pharmaanträge verdoppelt. An einem galoppierenden Fortschritt in der Forschung lag das nicht. Denn die meisten Anträge werden nicht am Beginn des Lebenszyklus eines Medikaments gestellt, sondern just dann, wenn es dem Ende zugeht.

Verzögerungstaktik

Sehr beliebt ist es auch, Generika-mitbewerber vorsorglich mit Plagiatsklagen einzudecken. 420 Mio. Euro war den Konzernen ihre Streitlust über acht Jahre wert. Auch wenn die Argumente oft nicht treffsicher sind – in 62 Prozent der Fälle siegte der Generikaproduzent – bringt dies doch eine willkommene Verzögerung von im Schnitt drei Jahren. Das gilt auch für das knappe Drittel der Fälle, in denen man sich außergerichtlich einig wurde. Zuweilen heißt es dann: Du verschiebst die Markteinführung, wir zahlen dir dafür Geld. Und alle sind glücklich – außer die Kassen-beitragszahler.

Diesem Treiben will Brüssel Einhalt gebieten. Vorige Woche gab es eine zweite Razziarunde. Bis Jänner dauern Anhörungen, im Frühling folgt ein Schlussbericht. Am Ende könnten kartellrechtliche Klagen stehen – ein Schlachtplan, mit dem die EU schon bei der Energiewirtschaft Erfolg hatte.

Leider lassen sich die Krankenkassen damit nicht sanieren. Das errechnete Einsparungspotenzial lag von 2000 bis 2007 bei drei Mrd. Euro. Klingt viel, aber pro Jahr und EU-Bürger macht das nicht einmal einen Euro. Unerwünschte und schädliche Nebenwirkungen sind da freilich nicht eingerechnet. Denn wo Patente de facto länger gelten als geplant, fehlt die Motivation zu Innovationen. Und der Generikamarkt leidet als Ganzes: In den USA liegt der Anteil der günstigen Ersatzprodukte bei 60 Prozent, in Europa nur bei 40.

Die attackierten Konzerne warten vorerst gelassen ab. Sie nennen die Vorwürfe „übertrieben“ und interpretieren Ergebnisse zu ihren Gunsten. Der Bericht zeige eben, so der Pharmaverband EFPIA, „die höchst kompetitive Natur der Innovation in diesem Sektor, ganz zum Wohle der Gesellschaft.“

LEXIKON: GENERIKA

Ein Generikum ist die wirkstoffgleiche Kopie eines Medikaments, das unter einem Markennamen bereits erhältlich ist. Da Forschungskosten entfallen, ist es günstiger als das Original und darf erst nach Ablauf des Patentschutzes eingeführt werden.

Der Anteil der Generika beträgt in den USA mengenmäßig über 60 Prozent, in Europa um 40. Österreich liegt mit 41 Prozent im EU-Schnitt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2008)

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