Freihandelsabkommen: 97 Prozent gegen Investorenschutz

 McDonald s french fries
McDonald s french fries (c) imago/AFLO (imago stock&people)
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Freihandelsabkommen EU/USA. Überwiegende Mehrheit der EU-Bürger lehnt Schutzklauseln für Investoren ab. Die EU-Kommission muss nun über ihre Verhandlungsposition nachdenken.

Brüssel. „Es war eine Befragung und kein Referendum“ – mit diesen Worten versuchte man am gestrigen Dienstag in EU-Kommissionskreisen, das Ergebnis der öffentlichen Konsultation zum Thema Investorenschutz im Rahmen des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP kleinzureden. Mit gutem Grund: Für die Brüsseler Behörde, die mit Vertretern der US-Regierung über den Handelspakt verhandelt, ist das Ergebnis der Konsultation ein veritables Desaster. Von den knapp 150.000 abgegebenen Stellungnahmen zum Thema Investorenschutz waren 97 Prozent negativer Natur. Eine deutlichere Ablehnung wäre wohl nicht möglich gewesen.

Seit gut eineinhalb Jahren verhandelt die EU-Kommission im Namen der Unionsmitglieder mit den USA über die Schaffung einer den Atlantik umspannenden Freihandelszone, die Europas Wirtschaftsleistung um einen halben Prozentpunkt bzw. 120 Mrd. Euro steigern und für 400.000 zusätzliche Arbeitsplätze sorgen soll. Weiterer positiver Effekt des Pakts: Da die EU und die USA gemeinsam mehr als 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung generieren, würde das Abkommen regulatorische Standards schaffen, an die sich andere Handelspartner – etwa China – nolens volens halten müssten.

Diese an sich erfreuliche Tatsache ist allerdings auch der Grund dafür, dass die Verhandlungen stocken: Denn um Standards zu schaffen, muss man sich zunächst auf diese einigen. Und da trennen Europa und die USA zum Teil Welten – etwa wenn es darum geht, ob Hühner nach der Schlachtung mit Chlor gereinigt werden dürfen oder nicht. Zum größten Problemfall allerdings hat sich die Frage des Investorenschutzes (ISDS) entwickelt: Vereinfacht ausgedrückt geht es darum, ob US-Investoren ein EU-Mitglied vor einem Schiedsgericht klagen dürfen, wenn sie sich von einer Regierungsentscheidung benachteiligt fühlen.

Derartige ISDS-Klauseln gehören in Handelsabkommen mit Entwicklungsländern seit Jahrzehnten zum Standard. Seit Konzerne den Investorenschutz nutzen, um unliebsame Gesetze (beispielsweise den verschärften Nichtraucherschutz in Australien oder den Atomausstieg in Deutschland) anzufechten, steht ISDS in der EU im Kreuzfeuer der Kritik. Nachdem diese immer lauter wurde, sah sich die EU-Kommission gezwungen, die Verhandlungen über Investorenschutz auszusetzen, und leitete im Frühjahr 2014 die öffentliche Konsultation ein, deren Ergebnisse nun präsentiert wurden.

Hoher Mobilisierungsgrad

Auffallend ist der hohe Mobilisierungsgrad der Gegner des Abkommens: Nach Angaben der Kommission wurden nämlich 97 Prozent der Stellungnahmen über Onlineplattformen diverser Nichtregierungsorganisationen eingesammelt, die eine vorgefertigte negative Antwort angeboten haben. An vorderster Front im Kampf gegen den Investorenschutz ist übrigens Österreich: Hierzulande wurden knapp 34.000 (überwiegend negative) Stellungnahmen – das entspricht 22,6 Prozent aller Antworten – abgegeben. Nur in Großbritannien war die Zahl der Kommentare mit 52.008 höher, aus Deutschland gab es 32.513 Zuschriften.

Die Kritiker treibt vor allem die Sorge um, dass die staatliche Selbstbestimmung durch internationale Tribunale beschnitten wird. Besorgt zeigte man sich weiters über die Intransparenz der Schiedsgerichte – also die Frage, wer die Schiedsrichter beruft und auf welcher Basis sie ihre Beschlüsse treffen. Und zu guter Letzt wollte ein Teil der Kommentatoren von TTIP an sich nichts wissen.

Die Brüsseler Behörde wertet das Ergebnis der Konsultation als Basis für weitere Gespräche mit der Zivilgesellschaft, die in den kommenden Wochen und Monaten geführt werden sollen – erst dann will die Kommission entscheiden, ob der Investorenschutz aus den TTIP-Verhandlungen ausgeschlossen werden soll oder nicht. Die nächste, für Februar geplante Verhandlungsrunde mit US-Vertretern werde jedenfalls nicht stattfinden, hieß es gestern.

AUF EINEN BLICK

TTIP. Über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA wird seit gut eineinhalb Jahren verhandelt. Es soll die Wirtschaft der EU um 0,5 Prozent steigern, ist aber heftig umstritten – unter anderem, weil sich Brüssel und Washington auf gemeinsame Standards (etwa bei Lebensmitteln) einigen müssen. Laut Plan sollten die Verhandlungen Ende 2015 abgeschlossen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2015)

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