Deutschland: Mindestlohn für Durchreisende

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Die Anwendung deutscher Mindestlohnbestimmungen beim Lkw-Transit sorgt für Unmut. Die EU-Kommission fordert Klärung und erwägt Verfahren gegen Berlin.

Brüssel. Nach der Pkw-Maut für Ausländer sorgt ein weiteres deutsches Gesetzesvorhaben für Aufregung in der europäischen Verkehrspolitik – diesmal geht es aber nicht um Nutzungsgebühren, sondern um die mit Jahresbeginn inkraft getretenen Mindestlohnbestimmungen. Wie „Die Presse“ in Erfahrung bringen konnte, wurde das polnische Verkehrsministerium vor wenigen Wochen von Spediteuren darüber informiert, dass sie von deutschen Behörden angewiesen wurden, den deutschen Mindestlohn von 8,5 Euro pro Stunde ab Ende Februar auch für jene polnischen Lkw-Fahrer anzuwenden, die Deutschland auf Transitrouten queren. Dem Vernehmen nach gingen ähnliche Schreiben auch an andere Hauptstädte in Ost- und Südosteuropa, woraufhin die Empfänger – neben Polen unter anderem Ungarn und Rumänien, aber auch Großbritannien, dessen Spediteure die Transitrouten Deutschlands nutzen – die EU-Kommission alarmierten.

Mit der Angelegenheit betraut sind Violeta Bulc (Verkehr), Marianne Thyssen (Beschäftigung) und Elżbieta Bieńkowska (Binnenmarkt). Am heutigen Donnerstag werden die drei Kommissarinnen einen Brief an die Beschwerdeführer abschicken, in dem sie ankündigen, die Sache zu untersuchen. Im Vorfeld habe man informell mit dem deutschen Wirtschaftsminister, Sigmar Gabriel (SPD), das Gespräch gesucht, hieß es.

Dessen nicht genug: Bereits heute (eine Bestätigung stand bis Redaktionsschluss aus) könnte die Brüsseler Behörde den sogenannten strukturierten Dialog einleiten. Die Prozedur ist die Vorstufe zum formellen EU-Vertragsverletzungsverfahren: Der Beschuldigte hat 70 Tage Zeit, um zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. In diesem Fall würde die Kommission allerdings darauf drängen, dass Berlin rascher – im Idealfall innerhalb von zwei Wochen – antwortet, sagte ein Brüsseler Kabinettsmitglied der „Presse“.

Es gehe darum zu prüfen, ob die Vorschrift nicht den freien Warenverkehr innerhalb der EU einschränke – und man sei der Überzeugung, dass sie nicht EU-rechtskonform ist. Aus dem deutschen Arbeitsministerium hieß es dazu, Berlin sei überzeugt, dass Anwendung und Ausmaß des Mindestlohngesetzes mit dem EU-Recht vereinbar seien. Details zur Rechtslage lagen am Mittwoch noch nicht vor, im Kern dürfte es bei der Angelegenheit allerdings darum gehen, wie eine Fahrt durch Deutschland arbeitsrechtlich zu werten ist.

Nach deutscher Lesart (soweit man sie derzeit interpretieren kann) ist ein Lkw-Fahrer, der Deutschland quert, ein entsendeter Arbeitnehmer. Und diese müssen laut EU-Entsenderichtlinie gemäß den Vorschriften des Gastlandes entlohnt werden. Die Betroffenen wiederum argumentieren, dass ein Lkw-Fahrer nicht entsendet ist, sondern eine Dienstreise macht und daher nicht unter die Mindestlohnbestimmungen fällt. „Konsequent zu Ende gedacht müsste der Mindestlohn dann auch für das Personal an Bord einer Deutschland überfliegenden Passagiermaschine gelten“, scherzt ein EU-Beamter.

Maßnahme gegen Ost-West-Transit?

In Kommissionskreisen ist man sich nicht im Klaren darüber, ob die Causa Mindestlohn nur eine unerwünschte Nebenwirkung des seit Jahresbeginn geltenden Gesetzes ist oder politische Absicht – mit dem unausgesprochenen Ziel, den Ost-West-Transit durch Deutschland einzudämmen.

Denn die Regelung ist zwar allgemein gültig (also theoretisch auch für österreichische Frächter), doch aufgrund des Lohngefälles de facto nur für ost- und südosteuropäische Spediteure ein Thema: Sie müssten dann nämlich nicht nur höhere Löhne für einen Teil der Strecke bezahlen, sondern auch darüber Buch führen, wie lange ihre Lkw durch Deutschland unterwegs waren – und ihre Fahrer mit entsprechenden Unterlagen ausstatten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2015)

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