Die Qual der Wahl im Weltall

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Die EU-Kommission muss demnächst entscheiden, ob sie russischen oder europäischen Trägerraketen den Vorzug gibt. Beide Optionen haben ihre Tücken.

Brüssel. Im Laufe der kommenden Wochen – der genaue Zeitpunkt ist noch unbekannt – dürften die 28 Mitglieder der EU-Kommission mit einem eher ungewöhnlichen Thema konfrontiert werden: nämlich mit der Frage, mit welchen Raketen europäische Satelliten künftig in die Erdumlaufbahn geschossen werden sollen. Dass diese an sich technische Angelegenheit dem Kollegium der Brüsseler Behörde zur Entscheidung vorgelegt wird, hat einen Grund: Sie ist zugleich sehr politisch. Dem Vernehmen nach hat sich die eigentlich für alle europäischen Weltraumbelange zuständige EU-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska dazu entschlossen, den Beschluss nicht im Alleingang zu treffen, sondern ihre Kollegen einzuschalten – damit die politische Verantwortung nicht allein auf die polnische Kommissarin zurückfällt.

Es geht um Galileo

Die Entscheidung ist insofern gewichtig, weil sie ein Hauptelement des europäischen Hightech-Bereichs tangiert: Galileo, das Satellitensystem der Europäischen Union. Insgesamt 30 Ortungssatelliten sollen Europa vom US-amerikanischen GPS-System unabhängig machen und die kommerzielle Nutzung von globalen Standortdaten ermöglichen. Galileo hätte ursprünglich schon längst funktionstüchtig sein sollen, doch Verzögerungen, Kostenüberschreitungen und Pannen begleiten das Projekt. So gingen Ende August 2014 zwei Satelliten aufgrund eines Fehlers beim Raketenstart vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana verloren. Mittlerweile geht man davon aus, dass das System in seiner Endausbaustufe nicht vor 2020 funktionieren wird. Der Teilbetrieb mit 18 Satelliten sollte eigentlich heuer starten, doch der Unfall beim Abschuss hat den Zeitplan erneut über den Haufen geworfen.

Die fehlerhafte Trägerrakete war ein Sojus-Modell aus Russland – und hier fangen die eingangs erwähnten politischen Probleme an. Denn offenbar sollen die EU-Kommissare darüber befinden, ob sie die restlichen Satelliten mit Sojus-Raketen ins All befördern oder auf die europäischen Ariane-Modelle umsteigen. Damit wäre die Abhängigkeit von Moskau beendet. Wobei Sojus in Expertenkreisen als besonders sicher und zuverlässig gilt – das Malheur vom vergangenen August war also ein negativer Ausreißer und nicht symptomatisch.

Wettlauf mit den USA

Die Entscheidung ist aus drei Gründen heikel. Erstens, weil die EU mit Russland einen laufenden Vertrag hat und aller Voraussicht nach Pönalen für einen vorzeitigen Ausstieg zahlen müsste. Zweitens, weil eine Entscheidung gegen Sojus in der gegenwärtigen geopolitischen Lage – Stichwort Ostukraine und die Krim – den Konflikt zwischen EU und Russland weiter anheizen könnte. Und drittens, weil jener Ariane-Typ, der für den Transport von Galileo-Satelliten geeignet wäre, noch gar nicht fertig entwickelt ist. Aus Kommissionskreisen heißt es, dass die benötigten Ariane-Raketen frühestens Ende 2015 an den Start gehen könnten. Damit verbunden ist allerdings ein weiteres Problem: Kommt es bei der Entwicklung und Produktion der neuen Ariane-Rakete aus irgendwelchen Gründen zu Verzögerungen, wäre das ganze Galileo-Programm in Gefahr. „Spätestens 2018 werden die Amerikaner den Nachfolger des GPS-Navigationssystems vorstellen. Funktioniert Galileo bis dahin nicht, haben wir ein ernstes Problem“, sagt ein Brüsseler Insider.

Zu guter Letzt dürfte es auch innerhalb des deutsch-französischen Ariane-Konsortiums Unstimmigkeiten geben. Seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise fordern die Deutschen, dass Ariane eine mittelgroße Trägerrakete à la Sojus entwickelt. Frankreich wiederum setzte sich zuletzt dafür ein, dass die neuen Ariane-Modelle groß genug sein sollten, um auch schwere Lasten ins All zu hieven.

AUF EINEN BLICK

Sojus oder Ariane? Für die russische Trägerrakete spricht ihre Zuverlässigkeit sowie die Tatsache, dass die EU aus einem laufenden Vertrag aussteigen müsste. Die europäische Rakete würde die EU unabhängiger von Russland machen – doch jener Typ, der momentan benötigt wird, befindet sich noch im Entwicklungsstadium und kann frühestens Ende 2015 abheben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2015)

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