Einigung: Griechenland-Hilfe wird verlängert

2.v.r. Jeroen Dijsselbloem
2.v.r. Jeroen DijsselbloemAPA/EPA (OLIVIER HOSLET)
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Das Rettungsprogramm für Griechenland wird um vier Monate verlängert. Die neue Koalitionsregierung von Premier Tsipras verpflichtet sich, die bisher von ihr abgelehnten Reformen zur Sanierung fortzusetzen.

Brüssel. Am Ende ging alles schneller als erwartet – beziehungsweise befürchtet. Anstatt sich die Freitagnacht um die Ohren zu schlagen, haben sich die Finanzminister der Eurozone im Streit um eine Fortsetzung des Hilfsprogramms für Griechenland in Brüssel nach gut zweistündigen Verhandlungen auf einen prinzipiellen Kompromiss geeinigt.

Der Rahmen der Übereinkunft sieht die Verlängerung der Kreditvereinbarung mit Griechenland um vier Monate vor – das laufende, 172 Mrd. Euro schwere Programm, das von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds beaufsichtigt wurde, läuft am 28. Februar aus. Demnach soll die linkspopulistische Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras bis Montag ein Dokument vorlegen, welche Spar- und Reformmaßnahmen Athen konkret umsetzen werde.

Experten der internationalen Geldgeber werden daraufhin die griechischen Vorschläge begutachten, am Dienstag sollen die Euro-Finanzminister telefonisch ihren Segen geben. Geht alles gut, wird die Liste der griechischen Verpflichtungen spätestens Ende April fixiert. Der prinzipiellen Einigung vorausgegangen waren dreistündige Beratungen im kleinen Kreis. Während der Rest der Eurogruppe im Brüsseler Ratsgebäude Justus Lipsius auf den Beginn des Treffens wartete, verhandelten der konservative deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, sein griechischer Kollege Yanis Varoufakis, Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem und IWF-Chefin Christine Lagarde über die Grundzüge eines möglichen Kompromisses.

Der ursprüngliche Knackpunkt

Athen wollte von seinen Gläubigern für die Dauer der Verhandlungen über ein mögliches weiteres Hilfsprogramm einen Überbrückungskredit, der aber nicht an Reformzusagen gebunden werden sollte - was für Schäuble nicht in Frage kam. Nun scheint sich Berlin durchgesetzt zu haben: Am Freitag sprach Eurogruppenchef Dijsselbloem davon, dass Griechenland die bestehenden Zusagen einhalten werde – man wolle die Flexibilität des bisherigen Abkommens nutzen. Die Euro-Gruppe habe zudem entschieden, dass milliardenschwere EFSF-Anleihen zur Rekapitalisierung, also zur Rettung griechischer Banken während der Zeit der Verlängerung weiter zur Verfügung stehen sollen.

Durch den Kompromiss vom Freitag wurde vorerst eine Drohung gebannt: die eines Ausscheidens Griechenlands aus der Eurozone. Selbst Schäuble, der zum größten Widersacher der Regierung Tsipras avancierte, wollte das Wort Grexit bis dato nicht in den Mund nehmen. Mit ein Grund für seine Zurückhaltung dürfte sein, dass der Ausstieg aus der Währungsunion rechtlich und praktisch extrem schwierig ist. Einen direkten Weg hinaus gibt es nicht – sehr wohl aber einige hürdenreiche Umwege. Jörg Haas vom Jacques-Delors-Institut in Berlin hat in einer eben publizierten Studie drei potenzielle Notausgänge aus der Eurozone analysiert.

Wesentliche Beschlüsse

REFORMLISTE: Bis diesen Montag (23.2) muss die griechische Regierung eine erste Liste mit Reformmaßnahmen präsentieren, die auf den aktuellen Vereinbarungen basieren. Die Reformen fußen also auf den Verpflichtungen des bisherigen Rettungsprogramms. Athen kann aber Maßnahmen austauschen, soweit Haushaltsziele nicht gefährdet sind. Die "Institutionen" - gemeint sind die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) - werden die Liste bis Dienstag (24.2.) bewerten. Bis Ende April muss die griechische Regierung dann eine endgültige Aufstellung ihrer Reformpläne vorlegen.

PROGRAMM: Wenn die "Institutionen" die Reformliste an diesem Dienstag billigen, kann eine viermonatige Verlängerung des aktuellen Hilfsprogrammes der Europäer offiziell beschlossen werden. Eigentlich wäre das - schon einmal verlängerte Programm - am 28. Februar ausgelaufen. Unter anderem in Deutschland muss der Bundestag dann noch bis Monatsende dieser Verlängerung zustimmen.

REFORMZUSAGE: Athen hat sich verpflichtet, Reformen nicht ohne Absprache mit den "Institutionen" zurückzunehmen. Außerdem darf die Regierung keine Maßnahmen ergreifen, die die finanzielle Stabilität des Landes gefährden. Ziel sei, die Wachstums- und Beschäftigungsaussichten dauerhaft zu verbessern, Stabilität sicherzustellen und den Finanzsektor widerstandsfähig zu machen und soziale Fairness zu steigern.

RESTZAHLUNG: Nur wenn das aktuelle Programm erfolgreich abgeschlossen wird, soll Athen die restlichen Finanzhilfen erhalten. Das sind 1,8 Milliarden Euro aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF, Gewinne der EZB aus dem Verkauf griechischer Staatsanleihen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro sowie die noch im hellenischen Bankenfonds geblockten Gelder in Höhe von 10,9 Milliarden Euro.

GLÄUBIGER: Die griechische Regierung verpflichtet sich, die Forderungen aller Gläubiger vollständig und zeitnah zu erfüllen.

PRIMÄRÜBERSCHUSS: Gemeint ist ein Haushaltsüberschuss, wobei die Zinsen auf die hohen Schulden der Griechen ausgeblendet werden. Die Verpflichtung geht weiter, aber hier kann Griechenland auf etwas Nachsicht hoffen. Starre Vorgaben für das Haushaltsplus vor Kredit-und Zinszahlungen gibt es in dem Papier nicht. In diesem Jahr soll die Wirtschaftsentwicklung berücksichtigt werden.

(APA)

Studie zu Ausstiegsszenarien

Die rechtlich am wenigsten komplizierte Lösung wäre vermutlich, wenn Athen von sich aus die Eurozone verlassen würde. Das Problem dabei ist nur, dass es dafür keine direkte rechtliche Handhabe gibt. Gemäß dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union hat ein EU-Mitglied lediglich die Möglichkeit, die EU zu verlassen, nicht aber die Eurozone. Dieser Ausgang wird im Artikel 50 des Vertrags geregelt. Allerdings gibt es zwei Haken: Erstens muss der EU-Austritt einvernehmlich erfolgen – der Rest der Union kann die Griechen nicht einfach so hinausdrängen. Zweitens kann der Austritt erst nach einer zweijährigen Übergangsphase erfolgen – angesichts der zu erwartenden Turbulenzen auf dem griechischen Finanzmarkt keine erfreuliche Aussicht.

Also müsste Athen wohl einen „schmutzigen“ Euro-Austritt anpeilen – also zuerst eine Parallelwährung einführen und sich erst dann den juristischen Konsequenzen stellen. Ein rechtliches Fundament für diesen Schritt wäre theoretisch vorhanden: Das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (1969) sieht das Ausscheiden eines Staates aus einer Abmachung bei einer „grundlegenden Änderung der Umstände“ vor – ob dieser Passus des völkerrechtlichen Vertrags auch auf die Eurozone zutrifft, ist unter Juristen aber umstritten. Selbst dies wäre mit vielen Komplikationen verbunden – etwa der Frage, wie Griechenland im Übergang mit zwei Parallelwährungen funktioniert.

In einem zweiten Szenario würden die Griechen durch äußeren Druck dazu gezwungen, eine eigene Währung einzuführen, indem die Europäische Zentralbank die Liquiditätszufuhr für griechische Banken unterbricht. Athen müsste dann nolens volens Kapitalkontrollen einführen und eigenes Geld drucken, sonst würden die Institute aus Geldmangel kollabieren. Neben den rechtlichen Problemen hätte die EU dann allerdings noch mit einem weiteren Problem zu kämpfen: Das solcherart brüskierte Griechenland wäre nach wie vor Mitglied der EU – und könnte als Rache von seinem Vetorecht Gebrauch machen, denn viele Entscheidungen müssen in Brüssel einstimmig gefällt werden. Artikel 7 des EU-Vertrags sieht zwar den Entzug der Stimmrechte eines Mitglieds vor – allerdings nur dann, wenn dieses Mitglied „fundamentale Werte“ der EU verletzt, was schwer nachzuweisen wäre.

„Betriebsunfall“ beim Pokern

Das dritte Szenario wäre ein „Betriebsunfall“: Je länger der Poker zwischen Griechenland und seinen Gläubigern andauert, desto größer ist die Gefahr eines Runs auf griechische Banken. Tritt dieser Fall ein, müsste Athen die Verbindungen zum EU-Kapitalmarkt kappen – ähnlich wie Zypern im Jahr 2013. Bei Nikosia war der Sachverhalt allerdings klar: Alle Beteiligten wollten damals die Mittelmeerinsel in der Eurozone halten. Bei Griechenland ist die Situation etwas anders, deshalb könnte ein Hineinstolpern in Kapitalkontrollen dieses Mal zum fundamentalen Bruch zwischen Athen und Brüssel führen – falls auch der Kompromiss von diesem Freitag nicht greift.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2015)

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