Eine von NGOs in Auftrag gegebene Studie kritisiert den Investorenschutz als unverhältnismäßig und demokratiefeindlich.
Brüssel. Europäische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben sich auf das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, das momentan zwischen EU-Kommission und US-Regierung verhandelt wird, regelrecht eingeschossen. Am heutigen Mittwoch wird eine Studie über die Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit (ISDS) veröffentlicht, die von zwölf Interessenvertretungen (darunter die Arbeiterkammer Wien) in Auftrag gegeben wurde. Ihr Fazit: Klauseln zum Schutz ausländischer Investoren vor politischer Willkür sind unverhältnismäßig und undemokratisch.
Die Hauptgründe für diese negative Einschätzung lieferte Gus van Harten, der an der Rechtsfakultät der York University in Toronto unterrichtet und sich seit gut 15 Jahren mit Investorenschutz befasst, bei einer Veranstaltung am gestrigen Dienstag in Brüssel – mit auf dem Podium saß Pia Eberhardt vom Corporate Europe Observatory, die in Deutschland die Kampagne gegen TTIP mitinitiiert hatte. Für van Harten sind die Schutzklauseln aus mehreren Gründen nicht akzeptabel: zunächst einmal, weil sie öffentliche Rechte an nicht gewählte Gremien abtreten, die obendrein mit Interessenkonflikten konfrontiert sind. Denn die Schiedsrichter, die über Klagen der Investoren befinden, hätten erstens ein Interesse daran, dass derartige Klagen erfolgreich sind (sonst wären sie ihre lukrativen Posten los), und zweitens ein Interesse am Erfolg der Kläger, für die sie anderweitig als Rechtsberater tätig seien. Van Harten: „Richtern wird aus gutem Grund untersagt, nebenbei als Anwalt zu arbeiten.“ An internationalen Schiedsgerichten sei dies nicht der Fall.
Ein weiteres, grundsätzlicheres Problem: ISDS impliziert demnach, dass die reguläre Gerichtsbarkeit unzuverlässig ist – wodurch Investoren aus dem Ausland gegenüber inländischen Unternehmen im Vorteil wären, denn sie könnten im Gegensatz zu Inländern den normalen Rechtsweg umgehen. „De facto ist ISDS eine Subvention zur Umgehung wirtschaftlicher Folgen der Demokratie“, sagt van Harten, der zugleich darauf verweist, dass exterritoriale Streitschlichtung im Lauf der vergangenen 15Jahre exponentiell zugenommen hat – und das, obwohl es keine Indizien für ein systematisches Versagen der Gerichtsbarkeit in Europa und Nordamerika gebe.
Auch mit dem Gegenargument der Befürworter, Schutzklauseln würden die Streitschlichtung beschleunigen, kann der kanadische Jurist wenig anfangen: „Das trifft nur deswegen zu, weil nur Investoren Schiedsgerichte aufrufen können und es keine Möglichkeit zur Berufung gibt. Würden wir bei der inländischen Gerichtsbarkeit den Instanzenweg abschaffen, wären die Verfahren auch kürzer.“ (la)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2015)