Stimmen Briten schon heuer über EU-Austritt ab?

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Der EU-kritische Ukip-Chef, Nigel Farage, erklärte sich zu einer Koalition mit den Konservativen nach der Parlamentswahl im Mai bereit. Doch er stellt Bedingungen.

Wien/London/Brüssel. Siegessicher grinst Nigel Farage in die Kameras. Bierselig und volksnah: So gibt sich der Chef der United Kingdom Independence Party (Ukip) gern. Der britische Wahlkampf nimmt an Fahrt auf, und Farage hat heute ein besonderes Ass im Ärmel. Er sei bereit, die Konservativen nach dem Urnengang am 7. Mai bei der Bildung einer Koalitionsregierung zu unterstützen, sagt der scharfe EU-Kritiker. Aber nur unter der Voraussetzung, dass das von David Cameron versprochene Referendum über die EU-Mitgliedschaft nicht erst 2017, sondern noch in diesem Jahr stattfindet.

Die Reaktion des Premiers folgt prompt. Es gebe nur eine „ziemlich kleine“ Chance, die Abstimmung vorzuziehen, erklärt Cameron in der Fernsehshow „Good Morning Britain“: Der Tory-Chef weiß, dass er die Stimmen EU-skeptischer Wähler braucht, will er für weitere fünf Jahre an der Regierungsspitze bleiben. Allerdings hat Cameron – anders als Farage – das Ziel, sein Land in der Union zu halten. Deshalb will er die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens noch vor Abhalten des Referendums in einigen Punkten neu verhandeln – und den EU-Gegnern von Ukip das Wasser abgraben. So soll nach dem Wunsch der Tories die Einwanderung von Bürgern anderer Mitgliedstaaten stärker beschränkt werden können. Doch die Rechnung dürfte nicht aufgehen: Nachdem Ratspräsident Donald Tusk das Unterfangen in einem Interview mit mehreren europäischen Zeitungen Anfang der Woche bereits als „mission impossible“ bezeichnet hatte, setzte Jean-Claude Juncker nur wenige Stunden später bei einer von Friends of Europe veranstalteten Konferenz nach: Die EU brauche Großbritannien, sagte der Kommissionspräsident – jedoch nicht um den Preis einer Änderung der europäischen Verträge. Juncker signalisierte zwar Bereitschaft, an Maßnahmen gegen den von London monierten Missbrauch der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu arbeiten. „Die Freizügigkeit selbst aber ist nicht verhandelbar“, stellte er klar.

EU-Skepsis in Großbritannien sinkt

Die klaren Worte aus Brüssel machen die sieben verbleibenden Wochen bis zur Parlamentswahl umso spannender – ist doch der Ausgang nach derzeitigem Stand völlig ungewiss. Umfragen prophezeien ein Kopf-an-Kopf-Rennen von Tories und Labour Party, Ukip dürfte hingegen nur zwischen neun und 15 Prozent der Wählerstimmen erlangen. Nach dem ersten Platz bei der Europawahl im Mai vergangenen Jahres mit 28 Prozent wäre das eine herbe Niederlage.

Die Umfragewerte passen zu einer Studie, die der Thinktank Open Europe kürzlich veröffentlicht hat – und die eine abnehmende Europaskepsis im Land vermuten lässt: Demnach liegt die „Wahrscheinlichkeit, dass Großbritannien die EU in der nächsten Legislaturperiode verlässt, bei 17 Prozent“. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov kommt zu dem Ergebnis, dass die Zustimmung für einen Verbleib in der EU mit 45 Prozent (35 Prozent dagegen) seit Beginn der monatlichen Befragungen im Jahr 2010 noch nie so hoch wie derzeit war. Auch die von EU-Gegnern oft ins Treffen geführten Kosten für die britische Wirtschaft, die EU-Regulierungen verursachen, wären im Fall einer losen Partnerschaft mit der Union annähernd gleich hoch: Das errechnete die Denkfabrik Open Europe dieser Tage.

Ukip sei die einzige Partei, die Großbritannien sicher aus der politischen Union in Europa in eine eigenständige, florierende Zukunft führen könne, sagte Farage bei einem Parteitag im März. Die Frage ist, ob die Briten das überhaupt wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2015)

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