David Cameron: Triumph eines Abgeschriebenen

Workers applaud as Britain's Prime Minister David Cameron and his wife Samantha return to Number 10 Downing Street in London
Workers applaud as Britain's Prime Minister David Cameron and his wife Samantha return to Number 10 Downing Street in London(c) REUTERS
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Die absolute Mehrheit der Tories unter David Cameron widerlegte alle Meinungsforscher. Der Erdrutschsieg der SNP und die Schlappe der Liberaldemokraten verhalfen dem Premier zum Sieg.

London. Die Messer waren nach einem anscheinend pannenreichen Wahlkampf bereits gewetzt worden, doch am Ende triumphierte bei der Parlamentswahl in Großbritannien der Amtsinhaber, David Cameron: Entgegen allen Erwartungen gewannen seine Konservativen eine absolute Mehrheit. Zwar betonte der Premierminister in seiner ersten Stellungnahme, er wolle „eine geeinte Nation“ regieren, doch Großbritannien ist nach dieser Wahl ein tief gespaltenes Land.

Das manifestierte sich darin, dass die Scottish National Party (SNP) in Schottland mit 56 der 59 zu vergebenden Sitze einen Erdrutschsieg feierte. Wegen des Totalverlusts Schottlands, ihrer einstigen Hochburg, konnte die Labour Party das Ziel eines Machtwechsels nicht erreichen. Mit nur 230Sitzen verlor die Partei nicht nur 42 Mandate gegenüber 2010, sondern fuhr das schlechteste Ergebnis seit 1987 ein. Parteichef Ed Miliband erklärte nach dem Debakel auch seinen sofortigen Rücktritt.

Labours Linksschwenk

Über die Gründe seines Scheiterns brach umgehend eine Debatte in der Partei aus. Miliband hatte Labour in den vergangenen fünf Jahren von dem Kurs Tony Blairs klar nach links geführt. Während in Schottland die Wähler Kandidaten das Vertrauen schenkten, die eine betont sozialistische Politik versprachen (und aus den Reihen der SNP kamen), war in England der Hauch sozialdemokratischer Nähe vielen Bürgern schon zu viel. Wie sein Mentor, Neil Kinnock, geriet Miliband schließlich zwischen alle Stühle.

Cameron war nicht nur der Triumphator des Wahltags, sondern auch der einzige Überlebende auf der Londoner Politbühne. Sein bisheriger Koalitionspartner, Vizepremier Nick Clegg von den Liberaldemokraten, verlor nicht weniger als 47 von bisher 57 Sitzen und trat ebenso wie Miliband und der Rechtspopulist Nigel Farage zurück.

Cameron gewann seine hauchdünne Mehrheit, indem die Tories in den englischen Wahlkreisen die Liberaldemokraten scharf attackierten, während in Schottland die SNP die Labour Party ausschaltete. Die größte Oppositionspartei hatte sich nach dem Wahlkampf und günstigen Umfragen große Hoffnungen gemacht, doch wie Cameron sagte: „Die einzige Umfrage, die zählt, ist, wie die Bürger bei der Wahl entscheiden.“ Dass der konservative Premier keine Vision hat und keine Ideologie wie sein Herausforderer Miliband verfolgt, sondern ein ergebnisorientierter Pragmatiker ist, gereicht ihm bei den Briten eher zum Vorteil.

Die knappe Mehrheit der notorisch uneinigen Konservativen wird in der nächsten Legislaturperiode mehr Kabinettsdisziplin verlangen als die stabile Mehrheit mit den Liberaldemokraten. Auf der Tagesordnung ganz oben wird nun die versprochene Volksabstimmung über den Verbleib Großbritanniens in der EU stehen.

Dem Vernehmen nach sucht man im Außenministerium bereits gesichtswahrende Formulierungen, wie man den Wählern Konzessionen aus Brüssel verkaufen kann, etwa mit Verzicht auf die Formel der „immer enger zusammenwachsenden Union“. Europa-Gegner in der Partei fordern eine rasche Abhaltung des bis Ende 2017 angekündigten Referendums, aber auch viele EU-Befürworter, etwa aus der Wirtschaft, wollen „das Thema so schnell wie möglich“ hinter sich bringen.

Strammer Sparkurs

Auf fiskalischer Seite ist das Land bei der Haushaltssanierung erst auf halbem Weg. Schatzkanzler George Osborne hat bis 2019 bereits weitere Milliardeneinsparungen bei den Staatsausgaben in Aussicht gestellt. Cameron gab sich gestern hingegen euphorisch: „Wir stehen am Beginn von etwas ganz Großem“, und jeder Brite werde mit seiner Regierung ein „gutes Leben“ haben können.

So angezweifelt der oft als träge geltende Cameron in den vergangenen Tagen in seiner Partei bereits war, am Freitag war er der strahlende Held: Mit seinem Wahlsieg wurde er der erste konservative Regierungschef seit Margaret Thatcher, der im Amt an Stimmen dazugewinnen konnte. Eine größere Auszeichnung als den Vergleich mit der Iron Lady kann es für einen wahren Tory nun wirklich nicht geben.

DAS GROSSE KÖPFEROLLEN

Weitere Infos:www.diepresse.com/grossbritannienEd Miliband.

Nach den ungeschriebenen Regeln der ältesten Demokratie erklärte der Labour-Führer noch am Morgen nach der bitteren Wahlnacht seinen Rücktritt. „Das ist nicht die Rede, die ich halten wollte“, sagte er. Vizechefin Harriet Harman übernahm interimistisch das Ruder, und viele fragten sich, ob nicht Miliband-Bruder David der bessere Spitzenkandidat gewesen wäre.

Nigel Farage.

Nach einem Pint im Pub, seinem Wahlkampfritual, war dem leutseligen Chef der UKIP (United Kingdom Independence Party) nach der schmerzlichen Niederlage wohler zumute. 13 Prozent hatte seine Anti-EU-Partei erzielt, und nur ein Mandat. Farage selbst verfehlte ein Mandat, gab ächzend seinen Rückzug als Parteichef bekannt – um gleich sein Comeback in Aussicht zu stellen.

Nick Clegg.

David Cameron bedankte sich in aller Form bei seinem loyalen Vizepremier, dem Chef der Liberaldemokraten, der im Lauf der Regierungszeit zunehmend verblasst ist. Die Tories jagten dem Koalitionspartner ein Gros der Parlamentssitze ab, die Fraktion schrumpfte auf acht Mandate. Clegg bleibt im Parlament, zögerte aber nicht, umgehend die Konsequenzen zu ziehen. [ Reuters, EPA (2) ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2015)

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