EU will Quoten für Schutzsuchende

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EU-Kommission präsentiert Konzept für die Flüchtlingspolitik, das den Kampf gegen Schlepper, die gerechte Verteilung und legale Wege zur Migration umfasst.

Für europäische Verhältnisse ist das Tempo geradezu beängstigend schnell: Am Mittwoch, nur wenige Wochen nach der verheerenden Flüchtlingstragödie mit nahezu tausend Todesopfern vor der Küste Libyens, stellt die EU-Kommission ihre Agenda für Migration vor. Als Reaktion auf die dramatischen Entwicklungen im Mittelmeer auf der einen und die immer lauter werdenden Rufe der betroffenen Mitgliedstaaten nach europäischer Solidarität auf der anderen Seite hat die Brüsseler Behörde ein Gesamtkonzept erarbeitet, das sich des Themas Migration von mehreren Seiten annimmt und das der „Presse“ vorliegt. Die Kommissionsagenda lässt sich auf drei Kernbereiche zusammenfassen: erstens die Sicherung der EU-Außengrenzen und den Kampf gegen Schlepper und Schmuggler („Die Presse“ berichtete in ihrer gestrigen Ausgabe), zweitens eine systematisch geregelte Aufnahme der Flüchtlinge und ihre Verteilung auf die EU-Mitgliedstaaten und drittens eine Neuorientierung bei der legalen Migration nach Europa.

Dublin-System funktioniert nicht

„Das Dublin-System funktioniert nicht, wie es sollte.“ Mit diesem Eingangsstatement stellt die Kommission fest, dass die bisherige Praxis, wonach die Neuankömmlinge dort um Flüchtlingsstatus ansuchen, wo sie zum ersten Mal EU-Boden betreten haben, an ihre Grenzen gestoßen ist. Denn während Länder wie Italien und Griechenland mit Bootsflüchtlingen alle Hände voll zu tun haben, werden (gemäß Eurostat-Daten von 2014) zwei Drittel der Asylanträge in nur vier EU-Mitgliedsländern gestellt: in Deutschland, Schweden, Frankreich und Italien. Um diese Diskrepanzen zumindest zu mildern, will die Brüsseler Behörde bis Ende Mai eine Klausel aus dem EU-Vertrag aktivieren: Artikel 78, Absatz 3.

Dieser besagt, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission vorläufige Maßnahmen zugunsten jener Länder beschließen kann, die durch einen „plötzlichen Zustrom von Drittstaatsangehörigen in eine Notlage“ geraten sind. Gemäß EU-Agenda geht es dabei um einen „provisorischen Distributionsmechanismus“ – sprich Quoten – für die Aufteilung der Neuankömmlinge aus Syrien und Eritrea auf alle EU-Mitglieder. Dieses Provisorium ist als Vorläufer eines EU-weiten Ansiedlungsprogramms gedacht. Die Zuweisung der Flüchtlinge soll anhand eines Verteilungsschlüssels erfolgen, der sich aus Wirtschaftsleistung, Bevölkerungsgröße, Arbeitslosenquote und der Zahl der bis dato aufgenommenen Asylsuchenden zusammensetzt. Soll heißen: Jene Länder wie Schweden, die bisher überdurchschnittlich vielen Menschen Asyl gewährt haben, sollen entlastet werden. Inwieweit die Kommission mit ihrem Ansinnen Erfolg haben wird, ist offen. Klar ist jedenfalls, dass Großbritannien, Irland und Dänemark bei dem Distributionsmechanismus nicht mitmachen müssen, da sie in den Bereichen Justiz und Inneres nicht zur Zusammenarbeit mit dem Rest der EU verpflichtet sind. Sie haben diese Ausnahmeregelungen im EU-Vertrag fixiert.

Parallel dazu – und zu einer grundlegenden Evaluierung des Dublin-Reglements, die bis Mitte 2016 vorliegen soll – will Brüssel schutzbedürftigen Personen aus Krisenregionen „sichere und legale Wege bieten, um nach Europa zu gelangen, ohne auf die Hilfe krimineller Netzwerke angewiesen zu sein“, wie es in dem Entwurf heißt – der Fachterminus dazu lautet „Upstream-Intervention in Drittstaaten“. Als erstes Pilotprojekt soll bis Jahresende ein multifunktionelles Zentrum in Niger eingerichtet werden, um „vor Ort Möglichkeit zum Schutz“ zu bieten. Und zu guter Letzt will die Kommission neue legale Wege zur Migration nach Europa eröffnen, und zwar für dringend benötigte Fachkräfte. Ziel ist demnach die Schaffung eines „EU-weiten Pools hoch qualifizierter Migranten“, auf die Mitgliedstaaten und Unternehmen zugreifen können.

Reform der Einwanderungspolitik

Ins selbe Horn stößt die hauseigene Ideenschmiede der EU-Kommission, das European Political Strategy Centre, in einer derzeit noch unveröffentlichten Studie: Die aktuelle Flüchtlingskrise sei eine Chance für die Generalüberholung der Einwanderungspolitik, deren Vereinheitlichung und Europäisierung in der Logik des Schengen-Systems liege. Vorbild für die EU-Experten sind Länder wie Kanada oder auch Neuseeland, die qualifizierte Zuwanderer ganz gezielt anwerben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2015)

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