EU-Streit über neue Grenzkontrollen

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LUXEMBOURG JUSTICE AND HOME AFFAIRS COUNCIL(c) APA/EPA/JULIEN WARNAND (JULIEN WARNAND)
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Verbindliche Flüchtlingsquoten dürften am Widerstand mehrerer EU-Staaten scheitern. Italien lässt Asylsuchende nach Norden weiterziehen, Frankreich macht Grenze dicht.

Wien/Luxemburg/Rom. Gegenseitiges Misstrauen in einer emotional aufgeladenen Debatte – und nur wenig Bereitschaft, europäische Solidarität über nationale Interessen zu stellen: Das Innenministertreffen am Dienstag in Luxemburg hat einmal mehr gezeigt, dass die EU-Mitgliedstaaten von einer gemeinsamen Lösung in der drängenden Flüchtlingsfrage weit entfernt sind. So dürfte ein Vorschlag der Kommission, 40.000Asylwerber aus Syrien und Eritrea von Italien und Griechenland auf andere Staaten zu verteilen, am Widerstand mehrerer osteuropäischer Staaten sowie Spaniens und Portugals scheitern.

Stattdessen soll über eine Verteilung auf freiwilliger Basis verhandelt werden, hieß es. Österreichs Innenministerin, Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), steht einer bindenden Flüchtlingsquote zwar positiv gegenüber – will aber, dass die bisherigen Asyl-Vorleistungen stärker berücksichtigt werden. Laut dem Vorschlag müsste Österreich 3,03 Prozent (1213 Menschen) aufnehmen. Zudem sehen Österreich wie Frankreich und Deutschland die italienischen und griechischen Behörden in der Pflicht, die ankommenden Asylwerber zu registrieren, statt viele einfach nach Norden weiterreisen zu lassen. Die EU-Asylregelung sieht vor, dass ein Einwanderer in dem Land Asyl beantragen muss, in dem er einreist.

Rom und Paris: dicke Luft

Besonders zwischen Rom und Paris herrscht deswegen dicke Luft. Empört äußerte sich Italiens Premier, Matteo Renzi, darüber, dass die französische Regierung Flüchtlinge an der italienisch-französischen Grenze in Ventimiglia zurückschicke: „Diese Haltung einiger europäischer Freunde, in einer so delikaten Frage die Muskeln zu zeigen, geht in die entgegengesetzte Richtung“, sagte er. Zuvor hatte Frankreich die Zurückweisung der Migranten verteidigt. „Italien muss sich um sie kümmern, das ist EU-Recht“, so der französische Innenminister, Bernard Cazeneuve. Seit Tagen harrten hunderte Flüchtlinge auf den rauen Felsen der Grenzstadt aus – in der Hoffnung auf eine Weiterreise. Schließlich wurden sie in einem Bus zum Bahnhof von Ventimiglia gebracht.

Die EU-Kommission untersucht, ob es Kontrollen an der österreichischen, französischen und Schweizer Grenze gibt – und diese gegen die Schengen-Verträge verstoßen. Das berichtet die Tageszeitung „Repubblica“, die sich auf EU-Kommissionssprecherin Natasha Bertaud beruft. „Es müssen alle die Schengen-Verträge respektieren – aber auch die Asylregelungen. Und das bedeutet, dass die Einwanderer registriert werden müssen, wenn sie in die EU gelangen“, so die Sprecherin. Aus dem Innenministerium hieß es gegenüber der „Presse“, dass an der Grenze zu Italien „selbstverständlich keine Kontrollen“ durchgeführt würden. Es gebe lediglich „Grenzraumkontrollen“ – auch, um den Kampf gegen Schlepper zu intensivieren.

Vor dem gestrigen Treffen in Luxemburg pochte ein sichtlich aufgebrachter Renzi auf mehr Unterstützung und auf die „gerechte Aufteilung“ der Migranten in der EU. Er machte deutlich, dass Italien in der Flüchtlingsfrage nicht mehr bereit sei, um europäische Solidarität zu betteln: „Europa muss das Problem gemeinsam angehen. Das ist Plan A. Wenn dem nicht so ist, werden wir uns allein darum kümmern müssen. Das ist Plan B.“ Was genau Renzi damit meint, hat er nicht gesagt. Dafür hat die Gerüchteküche gebrodelt: Nach Angaben von „La Stampa“ erwägt Rom, seine Häfen für nicht italienische Schiffe, die Migranten retten, zu sperren. Laut „Corriere della Sera“ hat Renzi auch vor, in Italien gestrandeten Flüchtlingen eine temporäre Aufenthaltsgenehmigung zu geben – damit sie „legal“ die EU-Grenzen überschreiten können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2015)

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