Das Vabanquespiel des Glücksritters Alexis Tsipras

Griechenlands Premier Alexis Tsipras
Griechenlands Premier Alexis TsiprasBloomberg
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Der Premier setzte mit seinem Vorschlag für eine Volksabstimmung über das Sparkonzept alles auf eine Karte. Es gehe jedenfalls nicht um die Frage "Euro: Ja oder Nein". Für die Opposition ist das Referendum eine Farce.

Athen. Über zwölf Stunden tobte im griechischen Parlament der Parteienkampf, bevor der wichtigste Mann in der Nacht auf Sonntag bei der Debatte über die Volksabstimmung zum Gläubigervorschlag in der Schuldenkrise das Wort ergriff: Premier Alexis Tsipras musste zunächst ja die Reaktion der Euro-Gruppe auf seine Entscheidung, die Volksabstimmung am 5. Juli 2015 anzusetzen, abwarten – und Brüssel entschied sich gegen eine Verlängerung des laufenden Rettungspakets über den 30. Juni hinaus.

Was das für Griechenland bedeutet, ist noch nicht sicher. Für Tsipras, Chef der Koalition aus Radikalem Linksbündnis (Syriza) und rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (Anel), war jedoch klar: „Wir werden nicht von Herrn Schäuble oder von Herrn Dijsselbloem die Erlaubnis einholen, unsere Demokratie zu schützen und zu bewahren. Die Volksabstimmung, in der das souveräne griechische Volk unabhängig entscheidet, wird stattfinden, ob es die Partner wollen oder nicht.“ Den Ausschluss von Finanzminister Yanis Varoufakis von der Sitzung wertete er als „außerinstitutionelles Vorgehen“ und ein schlechtes Zeichen für die Demokratie in Europa.

Die Frage, wie Griechenland ohne Programm und möglicherweise ohne Notfallsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (EZB) bis zum Sonntag über die Runden kommen wird, war für ihn in der Folge kein Thema mehr. Er tat sie als „Angst-Propaganda“ ab. Stattdessen konzentrierte sich Tsipras auf den Lösungsvorschlag der Gläubiger für budgetäre Maßnahmen der Jahre 2015 und 2016, den er als „Erpressung“ bezeichnete. Man wollte Griechenland ein Programm aufzwingen, das die Rezession verewigte und wieder alle Lasten auf die Pensionisten ablehne, ohne die Perspektive einer Schuldenumstrukturierung zu bieten.

Tod für Tourismus

Er hingegen hatte die Lasten auf diejenigen umschichten wollen, die sie tragen könnten. Die höhere Besteuerung für Gastronomie und für Hotels bedeuteten den plötzlichen Tod für die griechische „Schwerindustrie“, den Tourismus. Weiters prangerte er das Insistieren des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble auf den Verbleib des Internationalen Währungsfonds (IWF) im Programm an, obwohl dieser seit 2014 seine Zahlungen ausgesetzt habe und offensichtlich gekommen sei, um „Europa zu spalten“.

Die Frage, die zur Abstimmung steht, ist die Zustimmung oder Ablehnung des Vorschlags der Gläubiger für Griechenland. Für Tsipras geht es dabei um die Ablehnung eines neuen Sparmemorandums durch das Volk. Am 6. Juli, so glaubte er, werde die griechische Regierung mit gestärktem Verhandlungsmandat die Bemühungen um eine Lösung fortsetzen. In keinem Fall aber, so Tsipras, stehe die Frage: „Euro: Ja oder Nein“ zur Abstimmung. Man sei Mitglied der Eurozone und lasse sich das von niemandem, schon gar nicht von einer außerinstitutionellen Einrichtung wie der Euro-Gruppe, streitig machen.

In der leidenschaftlich geführten Debatte in den Stunden zuvor hatte die Opposition aber genau dies angezweifelt. Es gehe, angesichts der dramatischen Ereignisse bei der Sitzung der Euro-Gruppe und dem Auslaufen des Hilfsprogramms am 30. Juni, in Wahrheit um den Verbleib Griechenlands in der Eurozone. Das müsste den Bürgern klar sein. Wie Antonis Samaras, Chef der konservativen Nea Dimokratia, sagte, komme die Volksabstimmung viel zu spät.

Der viermonatige Verhandlungsmarathon der Regierung habe bereits jetzt zu einer Rezession geführt und, durch die Verschlechterung der Budgetzahlen, die Rechnung für das Volk um vier Milliarden Euro erhöht. Die Abstimmung über ein Arbeitspapier der Gläubiger sei eine Farce, eine Irreführung der Wähler. Durch die Abstimmung nach Auslaufen des Programms riskiere man den Bankrott. Stavros Theodorakis hingegen vom linksliberalen Potami nannte die Vertreter der Regierung „Glücksritter“. Andere sprachen von der Umwandlung Griechenlands in eine „Bananenrepublik“.

Zwei Drittel für den Euro

Die Durchführung der Volksabstimmung wurde mit 178 Stimmen im 300-köpfigen Parlament beschlossen. Neben den Parteien der Koalition stimmte auch die neonazistische Goldene Morgenröte für den Antrag – die „Troika der Drachme“, wie aus den Reihen der Opposition angemerkt wurde. Von ihr war auch die Verfassungsmäßigkeit der kurzfristig angesetzten Abstimmung angezweifelt worden. Die Regierung wird gegen das Sparmemorandum und gegen eine griechische „Schuldenkolonie“ Stimmung machen, die Oppositionsparteien werden die Frage nach dem Verbleib in der Eurozone stellen.

Die verschiedenen Meinungsumfragen weisen jedenfalls die Bereitschaft der Bevölkerung aus, für einen Verbleib in der Eurozone Opfer zu bringen. Auch diese Woche zeigte eine Umfrage von Kappa Research, dass 47 Prozent der Bevölkerung bereit wären, den Vorschlägen der Gläubiger zuzustimmen, wenn dadurch eine Einigung ermöglicht wird. Nur 33 Prozent waren dagegen. Nach wie vor ist eine Mehrheit von etwa zwei Dritteln der Griechen für einen Verbleib in der Eurozone. Der Haken: Das war vor der Empfehlung des Ministerpräsidenten, das „neue Memorandum“ abzulehnen.

Man fühlt sich an die Empfehlung eines anderen griechischsprachigen Regierungschefs erinnert: 2004 hatte sich Zyperns Präsident Tassos Papadopoulos überraschend gegen die Zustimmung zu einer UNO-Vorlage des Zypernproblems ausgesprochen. Über 90 Prozent der Bevölkerung lehnten darauf hin die Vorlage ab.

Ob auch Tsipras kommenden Sonntag ähnlichen Einfluss auf das Stimmvolk ausüben kann, bleibt abzuwarten. Das wird freilich auch davon abhängen, ob es der Regierung gelingt, in der kommenden Woche die Banken offen zu halten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2015)

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