Griechenland: "Ihr spielt mit unserer Zukunft"

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Die Regierung in Athen trifft mit ihrem riskanten Kurs großteils die eigene Klientel. Die ärmeren Schichten des Landes würden bei einem Euro-Ausscheiden hauptbetroffen sein.

Athen. Vor der Wahl hatte Alexis Tsipras kühne Versprechungen abgegeben. Bei einer Rede im September 2014 in Thessaloniki versprach er ein zwei Milliarden Euro schweres Sozial-, ein fünf Milliarden Euro schweres Wirtschaftsprogramm, die Rücknahme aller Kürzungen bei Pensionen und Beamtengehältern – und das alles ohne neue Schulden. Bis auf ein akutes Sozialprogramm in der Höhe von 200 Millionen Euro und die Rücknahme von einem Teil der Pensionskürzungen ist aber davon bisher nichts umgesetzt worden. Dazu kommt, dass nun die Auswirkungen der gescheiterten Verhandlungen mit den Gläubigerinstitutionen vor allem jene Schichten treffen, denen die Linksradikale Syriza Verbesserungen versprochen hat.

Hat Tsipras also seine Wähler verraten? Kommt es nicht in letzter Minute zu einer Einigung, wird die Regierung in Athen die Schuld für neue soziale Missstände zwar den ebenso hart verhandelnden Europartnern zuschieben. Doch was, wenn ihre eigene Verhandlungsposition zu einem Ausscheiden aus dem Euro führt? Das würde nämlich die ärmsten Schichten des Landes am stärksten treffen. „Ihr spielt mit unserer Zukunft“, beschwerte sich dieser Tage denn auch ein Grieche in der linksliberalen griechischen Tageszeitung „Ta Nea“.

Eine Übersicht über die bereits eingetretenen und die unabsehbaren Folgen für ärmere Schichten und Pensionisten:

Verlierer im Bank Run

Von den aktuellen Kapitalverkehrskontrollen sind zwar alle Griechen betroffen, besonders schwierig ist aber die Lage für jene, die über keine ausländischen Bankomatkarten oder Kreditkarten verfügen. Vor allem reichere Griechen haben in den vergangenen Monaten ihre Konten geplündert und das Geld in andere Euroländer verfrachtet. Allein in diesem Jahr sollen bis zu 40 Milliarden Euro abgehoben und zu einem Großteil ins Ausland geschafft worden sein. Während Personen mit einem griechischen Konto lediglich 60 Euro am Tag abheben können, dürfen jene, die über Auslandskonten verfügen, ebenso wie alle Touristen 400 Euro pro Tag aus den Bankomaten ziehen. Die Einschränkungen im Kapitalverkehr treffen auch die 2,7 Millionen griechischen Pensionisten. Zunächst konnten nicht alle Kassen die Renten pünktlich überweisen. Die Selbstständigen etwa werden erst ab heute, Mittwoch, Geld auf ihren Konten sehen – allerdings auch nur die Hälfte. Selbst um das sicherzustellen, musste der Staatssekretär im Arbeitsministerium auf die letzten Reserven der Kasse zugreifen. Dazu kommt, dass eine große Zahl von Pensionisten keine Bankomatkarte besitzt. Für sie werden angeblich ab Mittwoch einige Bankfilialen kurz geöffnet. Dort dürfen sie aber nur 120 Euro pro Woche abheben. Für größere Ausgaben – etwa für den Ersatz eines kaputtgegangenen Kühlschranks – reicht dieses Geld nicht aus.

Sparguthaben gefährdet

Die Regierung hat zwar versichert, dass die Sparguthaben sicher seien. Wenn jedoch heute das Hilfsprogramm tatsächlich ausläuft, werden die Vermögenswerte der Banken so gut wie keinen Wert mehr haben. Dann müssen früher oder später die noch verbliebenen 120 Milliarden Euro an Bankguthaben sowohl von Unternehmen als auch von Privatpersonen angezapft werden. Dies wäre notwendig, um eine rudimentäre Kapitalgrundlage zu sichern. Jene, die ihr Geld nicht in Sicherheit gebracht haben, würden auch bei einem Ausscheiden aus dem Euro einen Teil ihrer Guthaben verlieren. In diesem Fall würden ihre Einlagen in eine neue Währung mit voraussichtlich deutlich geringerem Wert umgetauscht.

Höhere Arbeitslosigkeit

Schon in den ersten Tagen der Kapitalverkehrskontrolle ist absehbar, wie sehr die griechische Wirtschaft an den Turbulenzen leidet. Im Dienstleistungssektor gibt es seit Montag einen erheblichen Einbruch, weil die meisten Griechen ihr Bargeld horten und nicht mehr ausgeben. Hält dieser Trend an, wird auch der Markt an Konsumgütern schrumpfen. Das bedeutet automatisch einen Abbau von Arbeitsplätzen. Wie die OECD in einer jüngsten Studie belegt, hat die Krise seit 2009 eine wachsende Wohlstandskluft verursacht. Dieser Trend dürfte sich fortsetzen, wenn weitere Arbeitsplätze vernichtet werden. Laut dem WKO-Handelsdelegierten in Athen, Gerd Dückelmann-Dublany, müssten die Griechen mit einer Entlassungswelle rechnen. Auch große internationale Unternehmen würden derzeit eine Reduzierung ihres Personalstands vorbereiten.

Auswirkung auf Gehälter

Kommt es nicht in letzter Minute zum Abwenden des Bankrotts, drohen vielen Griechen Gehaltseinbußen. Zum einen wird der Staat die Gehälter für Beamte, Lehrer und sämtliche seiner Bediensteten nicht mehr zur Gänze auszahlen können. Als Ausweg würden Schuldscheine ausgegeben, die als eine Art Parallelwährung dienen. Ihr Handelswert würde deutlich unter dem angeführten Eurowert liegen. Zum anderen droht ein Zusammenbruch des Pensionssystems. Pensionisten, denen Tsipras versprochen hat, dass sie keine Kürzungen mehr hinnehmen müssen, würden nur noch einen Teil dessen, was ihnen zusteht, erhalten. Im Fall eines Ausscheidens aus dem Euro würde der Wert ihrer Rente automatisch sinken – voraussichtlich mehr als durch eine weitere Reform des Pensionssystems.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2015)

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