Europas Solisten auf der Weltbühne

Französische Truppen im Einsatz in Westafrika
Französische Truppen im Einsatz in WestafrikaEPA
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Deutschland, Frankreich und Großbritannien sind die einzigen EU-Mitglieder, die gewichtig (und selbstbewusst) genug sind, um eigene außenpolitische Akzente zu setzen.

Brüssel. Die alte Indianerweisheit, wonach Bleichgesichter mit gespaltener Zunge zu sprechen tendieren, trifft immer wieder auf die EU zu. Dahinter steckt allerdings keine böswillige Absicht, sondern ein Kompatibilitätsproblem – denn in einem Club, der mittlerweile 28 Mitglieder umfasst, liegen die Meinungen zwangsläufig auseinander. Was die Angelegenheiten des Binnenmarkts anbelangt, betätigt sich immerhin die EU-Kommission als Streitschlichterin. In der Außen- und Sicherheitspolitik erfüllt sie diese Funktion mangels entsprechender Kompetenzen kaum.

Außenpolitikexperte Jan Techau, der die Brüsseler Dependance des US-Thinktanks Carnegie Endowment for Peace leitet, teilt die EU-Mitgliedstaaten in drei Kategorien ein. Da wären zunächst einmal die Großen Drei – Frankreich, Deutschland und Großbritannien –, die imstande sind, auf der außenpolitischen Bühne ein Soloprogramm zu geben. Zur zweiten Gruppe zählen jene Länder wie Italien, Spanien oder Polen, die Partikularinteressen in angrenzenden Regionen haben und diese auch wahrzunehmen versuchen. Und zu guter Letzt gibt es noch die Drittligisten – kleine EU-Mitglieder, denen auf der Weltbühne nur die Statistenrolle zufällt.

Atomwaffen und Dominions

Zwischen den europäischen Schwergewichten – die gemäß der alten Nomenklatur wohl eher den Mittelmächten zuzuordnen wären – gibt es gleichwohl mindestens drei historisch bedingte und bis ins Jahr 1945 zurückreichende Unterschiede. Der erste (und augenscheinlichste) betrifft das zur Verfügung stehende Arsenal. Während Frankreich und Großbritannien zum kleinen Zirkel der Atommächte zählen, verfügt Deutschland über keine Nuklearwaffen – und hat diesbezüglich auch keine Ansprüche. Parallel dazu gilt Unterschied Nummer zwei: Deutschland und Frankreich sind permanente Mitglieder im UN-Sicherheitsrat und verfügen neben den USA, Russland und China über ein Vetorecht. Und zu guter Letzt verfügen Großbritannien und Frankreich aufgrund ihrer kolonialen Vergangenheit über Dominions und Überseegebiete – ein historisches Privileg, das die Notwendigkeit einer schlagkräftigen Flotte mit sich bringt. Deutschland hat dieses Privileg (bzw. Last) nicht.

Was Deutschland an militärischer Statur fehlt, macht es allerdings in ökonomischer Hinsicht wett. Die größte Volkswirtschaft der EU ist ein Exportweltmeister und folglich daran interessiert, möglichst gute Beziehungen zu seinen wichtigsten Handelspartnern zu haben. Lange Zeit ging diese Fixierung auf die Rolle des Händlers gut, spätestens seit Russland in der Ukraine einmarschiert ist, ist sie jedoch ausgereizt – und Berlin musste nolens volens Sicherheitsinteressen über Handelspolitik stellen und Sanktionen gegen seinen Partner im Osten mittragen. Ob mit dieser Erfahrung eine fundamentale Reorientierung der deutschen Politik einhergehen wird, muss sich noch zeigen. Faktum ist allerdings, dass die deutschen Wähler keinerlei Interesse daran haben, dass ihr Land machtpolitisch aktiver wird.

Das ist in Frankreich anders – zumindest was die Lage in L'Afrique francophone anbelangt. Ein entschiedenes Durchgreifen Frankreichs in der Region (beispielsweise in Mali) ist bei den Wählern durchaus beliebt – wobei der französische Einsatz bei der Niederschlagung des Gaddafi-Regimes in Libyen durchaus kritisch beurteilt wird. Nichtsdestotrotz liegen die französischen Sicherheitsinteressen derzeit vor allem in Nordafrika und im Nahen Osten – auch aufgrund der Tatsache, dass die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer auch Frankreich tangieren.

Großbritannien wiederum scheint sich aus der Rolle des aktiven Players weitestgehend verabschiedet zu haben – so werden etwa die britischen Streitkräfte (mit Ausnahme des nuklearen Arsenals) einem rigorosen Sparkurs unterzogen, der auch in den USA für Irritationen sorgt – was für London längerfristig ein Problem werden könnte, denn die „Special relationship“ mit Washington zählt zu den Eckpfeilern der britischen Außen- und Sicherheitspolitik.

Seit das Unterhaus die Beteiligung an einem Einsatz in Syrien verweigert hat, hält sich Premier David Cameron mit Initiativen zurück. Selbst in der Ukraine-Krise ließ London den Deutschen den Vortritt – dabei zählt Großbritannien zu den Unterzeichnern des Budapester Memorandums von 1994, das die Integrität der ukrainischen Grenzen gewährleisten sollte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2015)

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