Franz Fischler: „Der Markt allein löst diese Probleme nicht“

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Franz Fischler über das diesjährige Thema in Alpbach „UnGleichheit“, seine Kritik an neoliberalen Modellen und seine Warnung vor dem Grexit.

Die Presse: Das Europäische Forum Alpbach diskutiert dieses Jahr das Thema Ungleichheit. Historisch gesehen, sind aus Ungleichheit Konflikte entstanden, aber auch positive Dynamiken. Ist sie heute eine Gefahr oder eher eine Chance?

Franz Fischler: Wir haben für das Forum bewusst, die beiden Begriffe „Un“ und „Gleichheit“ hervorgehoben. Es geht uns darum, einerseits die Ungleichheit im sozialen System zu diskutieren. Es geht uns darum, auf die Gefahren hinzuweisen. Aber wir wollen auch darüber sprechen, dass es eine gewisse Ungleichheit geben muss. Vor allem in den Bereichen der Kunst und Kreativität ist die Ungleichheit Motor neuer Ideen. Derzeit ist es leider so, dass in einer großen Zahl von Ländern die soziale Ungleichheit nicht kleiner, sondern größer wird. Und da sind wir in vielen Bereichen über der Toleranzschwelle. Wenn heute in Europa 80 Millionen Menschen leben, die von Armut bedroht sind, dann ist das eindeutig zu viel. Wenn wir Regionen haben, in denen jeder zweite Jugendliche keine Arbeit findet, ist das völlig inakzeptabel. Und wir sehen auch das unzureichende Handeln gegen den Klimawandel, der die Ungleichheit fördert. Auch hier müsste etwas getan werden.


Die Debatte wird aber auch ideologisch geführt: Wirtschaftsliberale sehen die Ungleichheit als Antrieb für die Wirtschaft, linke Wirtschaftstheoretiker sehen hingegen einen gesellschaftlichen Schaden.

Die Ideologie kommt dadurch ins Spiel, da neoliberale Kreise die Anschauung vertreten, dass der Markt die Gesellschaft gleicher macht. Natürlich kann die Ungleichheit auch wirtschaftliche Triebfeder sein, aber diese Marktideologen glauben, dass der Markt aus seiner inneren Dynamik heraus alles zum Guten wendet. Deshalb argumentieren sie, dass der Staat überflüssig wird und es keine Umverteilung mehr geben muss. Doch die Geschichte lehrt uns, dass das so nicht funktioniert. Der Markt allein bringt uns hier keine Lösung. Wir müssen Menschen, die in der Gesellschaft geringere Chancen haben, durch staatliche Maßnahmen unterstützen. Sie bedürfen öffentlicher Hilfe, weil ihre Probleme eben nicht der Markt lösen kann.


Der IWF hat in einer jüngsten Studie behauptet, dass die soziale Ungleichheit zu einem Wachstumshemmnis geworden ist. Können Sie das also nachvollziehen?

Die soziale Ungleichheit wird vor allem dann zum Wachstumshemmnis, wenn sie – siehe Arabischer Frühling – zu revolutionären Kontroversen führt. Sie ist auch dann ein Hemmnis, wenn ein Frustrationspegel überschritten wird, wenn die Menschen nicht mehr an ihre eigene Zukunft und ihre Chance glauben.


Die Ungleichheit führt auch zu Flüchtlingsströmen Richtung Europa. Das Modell, wie die EU darauf reagieren soll, ist noch nicht gefunden.

Es kann aber auch nicht so sein, dass Europa seine soziale Verantwortung, die Prinzipien von Humanität, das Völkerrecht aus Angst vor rechten Gruppen über Bord wirft. Das genaue Gegenteil ist richtig. Wir müssen jenen, die für verschlossene Grenzen sind, entschlossen entgegentreten. Das ist keine zukunftsträchtige Lösung. Auf der anderen Seite muss es innerhalb der Europäischen Union in dieser Frage eine Solidarität geben. Und es geht um die richtige Dimensionierung: Es ist richtig, dass die Zahl der Flüchtlinge in den vergangenen zwei Jahren gestiegen ist. Aber deshalb zu sagen, das ist undenkbar und welche Massen da auf Österreich einströmen, stimmt einfach nicht. Diese angebliche Masse sind realistischerweise dieses Jahr 40.000 bis 50.000 Menschen. Nach dem Ungarn-Aufstand 1956 sind in einem Jahr 180.000 Flüchtlinge nach Österreich gekommen. Nachdem russische Panzer 1968 in Prag aufgefahren sind, kamen 160.000 Menschen. Damals war das Land noch wesentlich ärmer.


Ist der Euro mitverantwortlich, dass innerhalb der EU die Kluft auseinandergeht?

Ich glaube nicht, dass man den Euro dafür verantwortlich machen kann. Das Problem ist entstanden, da man im Maastricht-Vertrag eine Wirtschafts- und Währungsunion geschaffen hat, dann aber nur die Währungsunion umgesetzt hat. Mithilfe der Wirtschaftsunion kann realistisch erwartet werden, dass wieder Wachstum entsteht. Durch mehr Wirtschaftstätigkeit würde sich auch die öffentliche Verschuldung durch mehr Steuereinnahmen konsolidieren.


Sollte tatsächlich Griechenland aus dem Euro herausfallen: Würde das dem Land helfen, weil es eine weichere Währung einführen könnte? Oder würde das die Ungleichheit in Europa vergrößern?

Um präzise zu sein, Griechenland kann überhaupt nicht aus dem Euro austreten. Das ginge nur, wenn es für einen Moment aus der EU austritt und gleich wieder neu eintritt, ohne Teilnahme am Euro. Die andere Sache ist, dass es dadurch zwar zu einer langfristigen Erholung im Land kommen kann. Dazwischen liegt aber ein tiefes Tal der Tränen. Genau darin steckt eine riesige Gefahr, dass nämlich die Bevölkerung sagt, sie lasse sich das nicht bieten, und es zu einer gesellschaftlichen Eskalation kommt.

Europäisches Forum Alpbach

UnGleichheit ist das Thema des diesjährigen Europäischen Forums Alpbach von 18. August bis 4. September. Wobei sowohl den positiven wie den negativen Aspekten der Ungleichheit ein Augenmerk geschenkt wird: Ungleichheit als Motor für Kreativität auf der einen, das soziale Problem auf der anderen Seite. Internationale Gäste diskutieren unter anderem die Zukunft des Kapitalismus, die Chancengleichheit unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen sowie die nachhaltige Entwicklung als Schlüssel zur Überwindung der globalen Ungleichheit. Das Europäische Forum Alpbach wird vom ehemaligen Landwirtschaftsminister und EU-Agrarkommissar Franz Fischler geleitet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2015)

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