Zu viel Pathos, zu wenig Logos

Greek Prime Minister Alexis Tsipras attends a parliamentary session in Athens
Greek Prime Minister Alexis Tsipras attends a parliamentary session in AthensREUTERS
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Alexis Tsipras hat die Griechen gegen ihre Gläubiger aufgebracht – zur Konsternation aller Beobachter mutet er ihnen nun jenes Sparpaket zu, das er noch vor wenigen Tagen abgelehnt hat.

Über drei Attribute musste ein Rhetoriker nach Ansicht von Aristoteles verfügen, wollte er im antiken Athen das Volk auf seine Seite bringen: persönliche Integrität (Ethos), hieb- und stichfeste Argumentationskraft (Logos) sowie einen emphatischen Draht zum Publikum (Pathos). Im Athen anno 2015 scheint Letzteres auszureichen – vorausgesetzt, man trägt, wie Alexis Tsipras am vergangenen Sonntag, so dick auf, dass die Zuhörer im Schmalz geradezu ertrinken. „Wir kämpfen ohne Schwerter und Gewehrkugeln, aber mit der Gerechtigkeit auf unserer Seite“, rief der griechische Ministerpräsident seinen enthusiasmierten Anhängern zu, die in einem hastig einberufenen Referendum die Bedingungen der Geldgeber Griechenlands für eine Fortsetzung des Hilfskredite abgeschmettert hatten. Das Votum werde „Solidarität und Demokratie“ nach Europa tragen, versprach Alexis Tsipras den Griechen, auf dass sie weiter in der Eurozone bleiben können, ohne sich zu Tode sparen zu müssen.

Am Morgen danach, als die europäischen Würdenträger, die für ein Ja beim Referendum geworben hatten, noch sprachlos nach Athen blickten, eröffnete der 40-jährige Linkspopulist die vermutlich wichtigste politische Partie seiner Karriere mit einem Gambit: Tsipras opferte den bei seinen Gesprächspartnern verhassten Finanzminister Yanis Varoufakis. Er wolle die „Verachtung“ der Euro-Gruppe wie einen Orden tragen, verkündete der selbst ernannte Outlaw-Ökonom mit ausgeprägtem Hang zur Besserwisserei, ehe er im Athener Finanzministerium sein Büro räumte.

Doch wer glaubte, damit sei die Sache erledigt, irrte gewaltig. Nur wenige Stunden nach der Demission schickte der PR-Agent von Varoufakis bereits einen Brief aus, in dem das Buch seines Klienten in höchsten Tönen gepriesen wurde. Selbst einen Hashtag (ein Schlagwort im Internet-Nachrichtendienst Twitter) ließen sich die Werbetrommler einfallen: #MinisterOfAwesome – eine Wortschöpfung, die sich am ehesten mit „Sultan des Universums“ übersetzen ließe.

Während der famose Ex-Minister auf seiner schwarzen Yamaha XJR 1300 in den Sommerurlaub knatterte, trat im Pressesaal des Brüsseler Bürokomplexes Berlaymont der farblose Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, vor die Mikrofone. Die Brüsseler Behörde sieht sich seit jeher als eine Art Schäferhund, dessen Aufgabe es ist, alle 28 Schäfchen zusammenzuhalten – insofern war sie (und ihr Chef Jean-Claude Juncker) stets darum bemüht, Athen weit entgegenzukommen. Doch der Lette Dombrovskis, der sein Land als Regierungschef durch die Finanzkrise geführt hatte, ließ die Griechen wissen, dass sie das Gegenteil bewirkt hätten. Ohne den Sanktus der Euro-Gruppe könne auch die Kommission nichts mehr machen.

Am Tag darauf sollte es so weit sein: Die Finanzminister der Eurozone eilten nach Brüssel, um die Lage zu besprechen und den am Abend stattfindenden Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs vorzubereiten. Das Treffen war die erste Gelegenheit, den neuen griechischen Ressortchef, Euklid Tsakalotos, kennenzulernen. Der in Oxford ausgebildete Ökonom marschierte zwar ohne einen verbindlichen Reformplan (der wurde entgegen anders lautenden Gerüchten auch nicht erwartet), dafür aber mit handgeschriebenen Notizen ins Kommissionsgebäude. Nachdem findige Reporter das Foto von den Unterlagen unter dem Arm von Tsakalotos vergrößert hatten, konnten sie zwei Dinge erkennen: erstens den Hinweis, nicht „zu triumphal“ aufzutreten, und zweitens den Namen seines Hotels: ein Viersterne-Etablissement namens The Hotel am Boulevard de Waterloo, in dem auch US-Präsident Barack Obama abgestiegen war.

Alter Lateiner. Das Gipfeltreffen am Dienstag brachte keine neuen Erkenntnisse, dafür aber eine neue Deadline: Sollte Athen bis Sonntag nicht nachgeben, sei die griechische Mitgliedschaft in der Eurozone Geschichte. Juncker sprach an diesem Abend erstmals aus, was die meisten ohnehin schon wussten: Es gibt eine Gebrauchsanweisung für den Grexit – dem Vernehmen nach ist es ein mehrere hundert Seiten starkes Konvolut, das von der ersten Minute an alle rechtlichen Schritte auflistet, die gesetzt werden müssen, um die Griechen aus der Währungsunion zu komplimentieren.

Mitte der Woche deuteten alle Zeichen auf ein Ende mit Schrecken. Während ein in die Verhandlungen eingebundener Insider die Grexit-Wahrscheinlichkeit hinter vorgehaltener Hand mit 85 Prozent bezifferte, outete sich Ratspräsident Donald Tusk als alter Lateiner und ließ die Griechen per Twitter wissen: „Magnum vectigal est parsimonia“ – Sparen ist eine gute Einnahme, eine Maxime von Cicero. Die wohl einzige gute Nachricht kam aus Australien, wo ein Geschäftsmann griechischer Abstammung jenen weinenden Pensionisten aus Athen ausfindig machte, dessen Bild um die Welt gegangen war, und ihm Geld zukommen ließ, damit er Medikamente für seine Frau besorgen könne.


Und er bewegt sich doch? Am Donnerstag dann das große Aufatmen: Tsipras bewegt sich doch. Ein Hilfsprogramm von 53,5 Mrd. Euro wird bei den europäischen Geldgebern beantragt und eine Liste mit Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen im Umfang von gut zwölf Mrd. Euro vorgelegt. Die von Tsipras gemachten Zusagen entsprechen ziemlich genau jenen Vorgaben, die Griechenlands Wähler am vergangenen Sonntag abgelehnt hatten – ein Rückwärtssalto epischen Ausmaßes. Ist es Kalkül, Panik oder ein Zeichen der Hilflosigkeit? Faktum ist, dass die Mehrzahl der Griechen den Euro behalten will. Faktum ist allerdings auch, dass die Ereignisse der griechischen Wirtschaft den Rest gegeben haben – noch vor zwei Wochen hätte Tsipras das Hilfspaket billiger haben können. Er habe „alles Menschenmögliche“ getan, um sein Land durchs Minenfeld zu führen, „nun geht es darum, die Gespräche mit einem positiven Ergebnis abzuschließen“, sagte Tsipras gestern. Würden die Griechen auf den Euro verzichten und stattdessen Pathos zur Währung erklären – das Land hätte keine Geldsorgen mehr.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2015)

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