Italiener revoltieren gegen zu viel Europa in ihrer Küche

(c) EPA (Cesare Abbate)
  • Drucken

In Italien herrscht Wut über EU- Richtlinien zu Mozzarella und Muscheln. Der EU-Frust im Land ist auf ein Rekordhoch gestiegen.

Den einst so europabegeisterten Italienern liegt die EU inzwischen schwer im Magen. Erst die strengen Sparauflagen, dann mangelnde Hilfe bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise – und nun greift Brüssel (so empfinden es zumindest italienische Medien) auch noch das nationale Heiligtum an: die italienische Küche.

Zunächst traf es den sakrosankten Mozzarella: In Italien durfte bisher Käse oder Joghurt nur mit frischer Milch hergestellt werden, nicht mit Milchersatzstoffen, wie anderswo in der EU. Das Verbot verstoße gegen das Prinzip des freien Warenverkehrs, urteilte nun die EU-Kommission. Es diskriminiere Produzenten in Italien gegenüber Herstellern im Rest Europas. Made-in-Italy-Mozzarella soll künftig ebenso wie der süditalienische Scamorza mit billigerem Milchpulver hergestellt werden dürfen. Vom EU-Spruch sind nur DOP-Produkte (Lebensmittel mit geschützter Herkunftsbezeichnung) wie Gorgonzola oder Parmesan ausgeschlossen.

Durch das Land ging ein Aufschrei. Von einem „EU-Angriff auf unser Nationalerbe“ sprach der Präsident des Landwirtschaftsverbands. „Jetzt zwingen die uns auch noch, Pseudokäse ohne Milch zu essen“, schimpfte er. Wütende Demonstranten zogen mit Transparenten vor das Landwirtschaftsministerium. „Mamas, schützt eure Kinder vor diesen Scheußlichkeiten“, stand darauf.

„Komplott gegen Made-in-Italy“

Die Empörung war kaum abgeflaut, da folgte bereits der nächste Skandal: die von Brüssel verordnete „Riesen-Vongola“. Diesmal ging es um Tierschutz, beziehungsweise um Überfischung. Eine EU-Richtlinie schreibt seit 2006 vor, dass Venusmuscheln (Vongole) für die Kommerzialisierung einen Mindestdurchmesser von 25 Millimetern haben müssen. Nur dann haben sie die „Reife“ für eine mögliche Vermehrung.

Allerdings entspricht keine einzige der italienischen Adria-Vongole diesem Kriterium. Schuld sind veränderte Umweltbedingungen. Mit diesen (zu kleinen) heimischen Muscheln wird aber das Nationalgericht Spaghetti alle Vongole angerichtet. Deshalb drückten die Behörden bisher beide Augen zu: Man ließ die Fischer kleine Vongole fischen, die immerhin 70 Mio. Euro im Jahr einbringen. Vor wenigen Wochen schritt aber Brüssel ein. Die Kommission fordert strengere Kontrollen – und Strafen: 4000 Euro drohen Fischern, Händlern und Restaurantbesitzern, wenn nur eine einzige kleine Muschel bei ihnen gefunden wird.

„Krieg gegen Italiens Vongole“, „Komplott gegen Made-in-Italy“, titelten empörte Zeitungen. Aufgelistet wurden bisherige EU-Angriffe auf das Made-in-Italy, wie die Zulassung von Weinen ohne Trauben oder Schokolade ohne Kakao. Dass Italiens Politiker im Rat Änderungen der Vongole-Richtlinie hätten durchsetzen können – Spanien erkämpfte sich Ausnahmen – wurde nicht erwähnt.

Die Erhitzung über „Riesen-Vongole“ und „barbarische Käsesorten“ ist Ausdruck eines neuen Europa-Unbehagens: „Brüssel möchte uns die grausliche Küche aus dem Norden aufzwingen“, klagte bezeichnenderweise des Gastromagazin „Sale & Pepe“. Dieser Frust über ungewollte „Fremdbestimmung“ durch ein fernes, kaltes Europa spiegelt sich in einer Umfrage von Ende Juli wider: Nur noch 26 Prozent sagen, sie hätten Vertrauen in die Union. 2006 waren es 51 Prozent, 2010 48 Prozent. Auch der Widerstand gegen den Euro wächst. Die größten Oppositionsparteien – Lega Nord, Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung sowie Silvio Berlusconis Forza Italia – fordern alle als Anti-Krisen-Heilmittel den Euro-Austritt. Gemeinsam würden die Anti-Euro-Parteien derzeit 52 Prozent der Stimmen erhalten.

Freilich haben nicht Muscheln und Mozzarella die Italiener zu EU-Skeptikern gemacht. Schlechtes EU-Management der Griechenland- und Flüchtlingskrise sowie Finanzmisere und Austerity-Vorgaben für das verschuldete Euroland sind laut Demoskopen Hauptgrund für die erkaltete EU-Liebe.

Sinnbild der herzlosen EU aus dem Norden ist übrigens die deutsche Kanzlerin. „La Merkel“ muss immer herhalten, wenn die Wut gegen die EU aufflammt – sogar beim Mozzarella: „Frau Merkel: Nein zum Anschluss des Made-in-Italy!“ stand auf einem Transparent bei der Anti-Milchpulver-Demo.

Auf einen Blick

Die EU-Skepsis der Italiener hat ein neues Rekordhoch erreicht: In einer Umfrage von Ende Juli sagten nur noch 26 Prozent der Befragten, sie hätten Vertrauen in die Union. 2006 waren es noch 51 Prozent, 2010 48 Prozent. Auch der Widerstand gegen den Euro wächst: Die größten Oppositionsparteien – Lega Nord, Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung sowie Silvio Berlusconis Forza Italia – fordern alle als Anti-Krisen-Heilmittel den Euro-Austritt. Gemeinsam würden die Anti-Euro-Parteien derzeit 52 Prozent der Stimmen erhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.