TTIP: EU macht Schiedsrichter zu Richtern

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BELGIUM EU US TTIP NEGOTIATION(c) APA/EPA/OLIVIER HOSLET (OLIVIER HOSLET)
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Brüssel will Investorenschutz transparenter machen und schlägt die Schaffung eines europäisch-amerikanischen Tribunals vor.

Brüssel. Es ist das mit Abstand umstrittenste Kapitel im transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP, über das die US-Regierung und die EU-Kommission seit mittlerweile zwei Jahren verhandeln – jener Passus, der den Schutz der Investoren vor staatlicher Willkür regelt. Kritiker der sogenannten ISDS-Klauseln halten den Investorenschutz für ein Rechtsinstrument, das von Konzernen dazu missbraucht werden könnte, unliebsame Gesetze auszuhebeln und soziale Standards zu senken. Vom Ausmaß der Empörung überrascht, setzte die Brüsseler Behörde die Verhandlungen über ISDS zunächst aus. Am gestrigen Mittwoch präsentierte die für Handel zuständige Kommissarin Cecilia Malmström einen Vorschlag der für die Neuregelung des Investorenschutzes, mit dem sie die europäischen Skeptiker überzeugen will – und zwar, indem der gesamte Prozess transparenter gestaltet werden soll. Was früher als ISDS bekannt war, soll nun Investitionsgericht heißen.

Bis dato war es üblich, dass Investoren vor ein nicht öffentliches Schiedsgericht zogen, um ihr Recht (bzw. Schadenersatz) einzuklagen. Der Vorschlag der Kommission will diese intransparente Prozedur beenden. Fortan sollen 15 öffentlich ernannte Richter – fünf US-Bürger, fünf EU-Bürger, fünf Drittstaatsangehörige – über etwaige Klagen im Rahmen von TTIP befinden. Um zu vermeiden, dass sich Unternehmen ihnen genehme Tribunen aussuchen, sollen die Richter vorab nominiert und die Rechtsfälle nach Zufallsprinzip zugeteilt werden. Anders als bisher sieht das neue System auch eine sechsköpfige Berufungsinstanz vor.

Pauschalhonorar

Auch die Geldfrage will die Kommission neu regeln: Während sich die Gage der „alten“ Schiedsrichter oft an der Klagssumme orientierte (was Potenzial für Interessenskonflikte barg), sollen die „neuen“ Investorenrichter pauschal bzw. nach Arbeitszeit abgegolten werden. Freilich: Die Praxis, dass sich Anwälte auch als Schiedsrichter verdingen, dürfte der neue Vorschlag nicht gänzlich beenden – er sieht lediglich vor, dass die Richter es vermeiden sollen, als Advokaten in laufenden Handelsdisputen tätig zu sein. Aus Kommissionskreisen hieß es gestern, dass man die neu geschaffenen Posten am liebsten mit Universitätsprofessoren oder Richtern im Ruhestand besetzen würde – nachdem man in Brüssel nicht davon ausgeht, dass das europäisch-amerikanische Investitionsgericht alle Hände voll zu tun haben wird, sollen die Richter auf Teilzeitbasis arbeiten.

Damit Kommissarin Malmström ihren Vorschlag in Washington auf den Verhandlungstisch legen kann, müssen noch die EU-Regierungen und das Europaparlament zustimmen. Nach Vorstellungen der Brüsseler Behörde soll der neue Investorenschutz als Blaupause für alle weiteren Handelsabkommen – beispielsweise mit China – dienen. Längerfristig peilt Brüssel die Schaffung eines ständigen multilateralen Investorengerichtshofs an, das bilaterale Arrangements ersetzen soll.

Die Reaktionen fielen gemischt aus. Während die österreichischen Regierungsparteien Malmströms Vorschlag vorsichtig begrüßten, erneuerten TTIP-skeptische Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace oder Attac ihre Ablehnung. Ähnlich die Gefechtslage im Europaparlament, das nach Abschluss der Verhandlungen über TTIP abstimmen muss: Für die Grünen handelt es sich um „Etikettenschwindel“, während Sozialdemokraten und Europäische Volkspartei Zustimmung signalisierten.

Die Kritiker des Abkommens lehnen jegliche Sonderbehandlung von Investoren ab und fordern, dass internationale Konzerne sich an inländische Gerichte wenden sollen. Kommissarin Malmström hielt gestern wiederholt fest, dass Investoren keinerlei Möglichkeiten haben werden, auf Umwegen europäische Gesetzgebung zu beeinspruchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2015)

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