Großbritannien: Die Jasager und die Neinsager

Der Vorsitzende der „Ja“-Kampagne, Stuart Rose.
Der Vorsitzende der „Ja“-Kampagne, Stuart Rose.(c) APA/EPA/ANDY RAIN (ANDY RAIN)
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Vor der EU-Volksabstimmung formieren sich nun die beiden Lager. Die Regierung laviert einstweilen mit ihren konkreten Reformvorschlägen an Brüssel herum.

London. Nachdem die traditionelle Parteitagssaison überstanden ist, darf in Großbritannien endlich wieder Politik gemacht werden. Ganz oben auf der Prioritätenliste steht die bis Ende 2017 anstehende Volksabstimmung über den Verbleib des Landes in der Europäischen Union. Das Ja-Lager stellte sich gestern, Montag, der Öffentlichkeit, und sein Vorsitzender, Stuart Rose, erklärte: „Das ist keine Wahl zwischen Großbritannien und Europa, sondern Großbritannien ist stärker in Europa.“

Unter diesem Namen („Britain Stronger in Europe“) will die Kampagne parteiübergreifend und mit positiven Argumenten für den Verbleib in der EU Stimmung machen. Rose war früher Chef der Kaufhauskette Marks & Spencer, ihm zur Seite stehen der frühere Generalstabschef Peter Wall und die Vizechefin des Fußballvereins West Ham United, Karren Brady. Die Bewegung hat auch die Unterstützung der früheren Premierminister John Major (Konservative), Tony Blair und Gordon Brown (beide Labour) sowie führender Vertreter der Liberaldemokraten und der Grünen. Während das Geld von der Wirtschaft kommt, führt Will Straw, der Sohn des früheren Labour-Ministers Jack Straw, die Kampagne.

Bevor sie aber „stärker in Europa“ werden können, müssen die Proponenten des Ja-Lagers noch auf Touren kommen. Die gestrige Vorstellung war nicht nur drückend lahm. Nach einer gestellten Podiumsdiskussion keine Fragen des Publikums zu gestatten zeugte nicht gerade von Selbstvertrauen. Und während Rose bekannte Argumente wiederholte, dass es wirtschaftlich und sicherheitspolitisch besser sei, „in einer reformierten EU mitreden zu können“, verspottete EU-Gegner Nigel Farage die Aussagen per Twitter bereits live als „falsch“ und „lachhaft“.

Farage, der Chef der populistischen United Kingdom Independence Party (UKIP), will sich unbedingt zum Führer des Nein-Lagers machen, das mittlerweile bereits zwei Gruppen gebildet hat: die von Farage vorgestellte Kampagne „Leave.EU“ und die weiter gefasste „Vote Leave“-Formation, der auch Politiker von Labour und Konservativen angehören. „Die Gruppen konkurrieren nicht, sondern ergänzen sich“, behauptet Farage. Doch vielen gemäßigten EU-Gegnern ist der Populist, für den der Austritt aus der Union (politischer) Lebenszweck ist (während er ein dickes Gehalt als EU-Parlamentarier bezieht), zu polarisierend.

Zuletzt versucht Farage die Flüchtlingskrise für seine Zwecke zu instrumentalisieren und erklärte die Volksabstimmung „zu einer Entscheidung über die Kontrolle über unsere Grenzen“.

Unsicherheit über Camerons Kurs

Die Flüchtlingskrise und Europas Probleme in der Bewältigung haben dem Nein-Lager zuletzt starken Aufschwung verliehen. Die EU-Befürworter schwächt aber mindestens so sehr das anhaltende Herumlavieren von Premierminister David Cameron. Weiter bleibt unklar, was die Regierung eigentlich mit der EU neu verhandeln will, ehe die Briten abstimmen.

Statt auf Substanz wird auf Medienmanagement gesetzt. So veröffentlichte die Tageszeitung „Telegraph“, das Leibblatt der Konservativen, sicherlich nicht zufällig nach einem Treffen von Cameron mit Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, und vor dem EU-Gipfel Ende der Woche, bei dem auch das Thema Großbritannien auf der Agenda stehen wird, vier „Kernforderungen“ der Briten:
1. Keine Verpflichtung zur Teilnahme an einer „immer engeren Union“.
2. Eine Erklärung, dass der Euro nicht die Währung der Europäischen Union ist.
3. Die Einführung eines Vetos nationaler Parlamente über EU-Gesetze.
4. Die Sicherheiten, dass die 19 Eurostaaten nicht die anderen acht EU-Mitglieder überstimmen können.

Für all das gibt es aber aus Angst vor Leaks keine schriftlichen Festlegungen oder feste Positionen der Regierung. Diplomaten klagen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: „Cameron braucht für seine Öffentlichkeit einen großen Sieg. Aber kein EU-Staat wird sich für seine Profilierung hergeben.“ Der britische Premierminister habe sich „sehr dumm verhalten. Niemand will, dass die Briten gehen. Aber er muss das nun in Ordnung bringen.“

Wie Brecht in seinem Stück „Der Jasager und der Neinsager“ schrieb: „Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2015)

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