Am Sonntag verhandeln die betroffenen Länder über die Bewältigung der Flüchtlingswelle.
Brüssel/Wien. Der Druck auf den für Sonntag anberaumten Sondergipfel zur Bewältigung der Flüchtlingswelle auf der Balkanroute steigt. Slowenien hat damit gedroht, ebenso wie Ungarn einen Grenzzaun zu errichten, sollte das Treffen keinen Durchbruch bringen. „Wir denken darüber nach, jedoch in diesem Moment noch nicht so, dass wir es bereits machen würden“, sagte der slowenische Premier, Miro Cerar. „Aber wenn wir die Hoffnung auf der europäischen Ebene verlieren, werden alle Optionen zur Verfügung stehen.“ An dem Treffen in Brüssel werden die Regierungschefs von elf Ländern, darunter auch aus Österreich und Deutschland, teilnehmen. Slowenien wie auch Kroatien, Serbien und Mazedonien sehen sich am Ende ihrer organisatorischen Möglichkeiten. Sie erwarten vom Sondergipfel auch Zusagen für finanzielle und personelle Hilfe.
Bundeskanzler Werner Faymann, der das Treffen gemeinsam mit der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, initiiert hatte, sprach sich am Freitag nach einem Treffen mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini für eine Auswahl von Asylberechtigten und Nichtasylberechtigten bereits an der Außengrenze der EU aus. „Die Flüchtlingssituation kann nicht an der deutschen oder österreichischen Grenze gelöst werden. Nachdem die Menschen 2000 Kilometer zu Fuß zurückgelegt haben, ist es zu spät.“
Der Sondergipfel, der unter Schirmherrschaft von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Hauptgebäude der Kommission in Brüssel (Berlaymont) stattfindet, wird sich neben der Abwicklung und Koordination entlang der Route auch mit der Sicherung der EU-Außengrenze und der Zusammenarbeit mit der Türkei beschäftigen. Insbesondere soll die Umsetzung des Rückführungsabkommens mit Ankara angesprochen werden.
An den Gesprächen wird auch der griechische Premier, Alexis Tsipras, teilnehmen. Er dürfte erneut auf eine Verteilung der in seinem Land ankommenden Flüchtlinge auf alle EU-Staaten drängen. Athen fordert die Einrichtung von Registrierungszentren in der Türkei. Sie sollen dazu beitragen, dass die Menschen nicht mehr mit Booten auf nahe griechische Inseln übersetzen.
Lunacek fordert Asylanlaufstellen
Die Westbalkan-Expertin im Europaparlament, Ulrike Lunacek von den Grünen, sieht ebenfalls die Notwendigkeit, den betroffenen Ländern auf der Route mehr Unterstützung zu gewähren. „In Serbien leisten Regierung und Bevölkerung schon jetzt sehr viel – und das ohne Tränengas und Wasserwerfer.“ Lunacek, die Sebastian Kurz für dessen nicht stringente Türkei-Politik kritisiert, fordert ebenso wie der Außenminister eine legale Möglichkeit, bereits in den Transit- und Herkunftsländern den Asylantrag zu stellen. Damit würde ein Grund wegfallen, dass sich Menschen auf die gefährliche Reise über das Meer machen. Die grüne EU-Abgeordnete erinnerte im Gespräch mit der „Presse“ daran, dass Österreich 2001 die Möglichkeit von Asylanträgen in Botschaften außer Kraft gesetzt hat. Sie regt nun an, die Außenstellen des Europäischen Diplomatischen Dienstes (EAD) als neue Anlaufstellen für Flüchtlinge zu nutzen. Allerdings müsste dafür auch ein gemeinsames Asylsystem in der EU geschaffen werden. (wb/ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2015)