Erstmals seit 15 Jahren ist die Öresundbrücke zwischen Dänemark und Schweden nicht mehr frei passierbar. Kopenhagen reagiert mit Kontrollen an seiner Grenze zu Deutschland.
Stockholm. Monika Engström hatte die Existenz einer Grenze zwischen Schweden und Dänemark eigentlich schon fast vergessen. Seit vielen Jahren fährt die Hotelangestellte täglich mit der S-Bahn von Südschweden über die Öresundbrücke nach Kopenhagen zum Arbeiten. Abends geht es dann wieder zurück nach Schweden, wo die Wohnungen preiswerter sind. Der Großraum Kopenhagen und die schwedische Region Schonen um Malmö sind in den letzten 15 Jahren dank der Öresundbrücke zu einem Lebensraum zusammengeschmolzen. Er war das Paradebeispiel grenzenloser europäischer Integration schlechthin. Insgesamt passieren wie Eva täglich rund 95.800 Menschen ungehindert den Öresund.
Damit ist nun Schluss. Zu der halbstündigen Bahnfahrt dürften laut Zugbetreibern bis zu 50 Warteminuten hinzukommen. Im Bahnhof des Kopenhagener Flughafens stellt der Däne Henrik Droob mürrisch Schilder auf dem Bahnsteig auf: „Bitte Pässe bereithalten“. Eigentlich müsse man die EU-Außengrenzen abdichten und nicht jene innerhalb der EU, findet er.
Schon am ersten Tag der Wiedereinführung von Passkontrollen müssen sämtliche Zugreisenden von Dänemark nach Schweden zunächst aussteigen und das Gleis über Rolltreppen wechseln. Es geht hoch und dann wieder runter. Ein 325 Meter langer Zaun auf dem Bahnsteig verhindert das direkte Umsteigen. In Schleusen begutachten rund 150 neongelb gekleidete Kontrolleure eines Wachschutzunternehmens streng die Ausweise sämtlicher Passagiere und fotografieren sie.
Bürgermeister warnen
„Beunruhigend, dass die unsere Ausweise fotografieren“, sagt Engström. Ihr gefällt das alles nicht. „Das wird täglich unglaubliche Probleme bringen. Ich konnte tagelang nicht schlafen, weil ich nicht weiß, ob ich mit all den Staus jeden Tag nach Dänemark zur Arbeit pendeln will. Ich pendle seit 14 Jahren, aber das wird zu viel“, sagt auch die Schwedin Eva, die täglich von einem Dorf nahe der Stadt Lund nach Dänemark zur Arbeit fährt. Kopenhagens Bürgermeister, Frank Jensen, warnte: „Diese Grenzkontrollen verschlechtern die wirtschaftliche Lage in unserer Region.“
Die rot-grüne Regierung Schwedens hat im Dezember allen Transportunternehmen, die Menschen mit Zügen, Bussen oder Fähren von Dänemark oder Deutschland nach Schweden bringen, verboten, Flüchtlinge ohne Papiere mitzunehmen. Laut der schwedischen Ausländerbehörde hat ein zunehmend großer Anteil nämlich keine Reisepässe vorzeigen können. Um zu sehen, ob die Transportunternehmen auch konsequent sind, führt die schwedische Polizei zusätzliche Kontrollen auf schwedischer Seite durch. Schweden beruft sich auf das Schengener Abkommen. Sowohl Deutschland als auch Dänemark gelten als sichere Herkunftsländer, in denen die Flüchtlinge gegebenenfalls bleiben könnten.
Das führt nun vor allem in Dänemark zu wachsenden Sorgen. Bisher war das Flüchtlingen gegenüber sehr restriktive Land nur mit dem Transit der Menschen nach Schweden konfrontiert. Am Montag kündigte die dänische Regierung nun als Reaktion auch Grenzkontrollen zu Deutschland an.
Schweden hat auf die Gesamtbevölkerung gerechnet noch weit vor Deutschland am meisten Flüchtlinge in der Europäischen Union aufgenommen. Es habe seine Pflicht erfüllt, so der Tenor aus Stockholm. „Wenn alle EU-Länder so viele Flüchtlinge aufgenommen hätten wie wir und Deutschland, gäbe es gar keine europäische Flüchtlingskrise“, kritisiert Migrationsminister Morgan Johansson.
Die Anzahl der Flüchtlinge Richtung Schweden ist bereits seit Anfang Dezember drastisch – bis zur Hälfte pro Woche – gesunken, vor allem wegen der Vorankündigung der verschärften Regeln zum Familiennachzug Ende November. Hunderte von Asylbewerber ziehen derzeit gar ihre Anträge zurück, weil sie in andere Länder ausweichen wollen, etwa nach Deutschland.
Kehrtwende abgeschlossen
Die rot-grüne Regierung hielt lange an ihrer großzügigen Flüchtlingspolitik fest, vollzog aber dann eine Kehrtwende. Angesichts der Überlastung und weiter steigender Flüchtlingszahlen verschärfte sie die Aufnahmeregeln deutlich. So gibt es nur noch befristete Aufenthaltsgenehmigungen, der Familiennachzug wird zeitlich begrenzt und an die finanzielle Selbstversorgung geknüpft. Mit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen ist die Kehrtwende nun abgeschlossen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2016)