Rechtsstaatlichkeit: Polens Verteidigungsstrategie

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Die Regierung unter Beata Szydło versucht, ihre Vorgänger für Verwerfungen im politischen System verantwortlich zu machen.

Straßburg. Was tun mit Polen? Diese Frage stellten sich am gestrigen Montag viele Europaabgeordnete, nachdem sie mit Beata Szydło diskutiert hatten. Die polnische Premierministerin war nach Straßburg gekommen, um an der Debatte über die umstrittenen Maßnahmen der neuen rechtsnationalen Regierung in Warschau teilzunehmen. Sie wies vor allem auf einen breiten „Willen der Bevölkerung für einen politischen Wandel“ hin.

Aus Brüssel und diversen EU-Hauptstädten hagelte es bekanntlich Kritik, nachdem die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Dezember mit juristisch fragwürdigen Methoden das Verfassungsgericht de facto lahmgelegt hatte. Die Einleitung eines Prüfungsverfahrens durch die EU-Kommission hat nun zwar für prozedurale Klarheit gesorgt – ein Gutachten über die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen soll im März vorliegen. Doch politisch ist der Frontverlauf (und zwar nicht nur im Europaparlament) alles andere als eindeutig. Vielerorts wachsen die Zweifel an der Einschätzung der Situation. So schien sich am Montag in Straßburg die Erkenntnis durchzusetzen, dass es unter der Vorgängerregierung in Warschau ebenfalls zu Verwerfungen gekommen war.

Rebecca Harms, die Vorsitzende der Grünen im Europaparlament, hat nach eigenen Angaben erst vor wenigen Tagen erfahren, dass die rechtsliberale Bürgerplattform vor ihrer Abwahl im November das Verfassungsgericht noch rasch mit eigenen Kandidaten besetzt hat, und zwar auf juristisch ebenfalls fragwürdige Weise. Harms' Fazit: „Wir sitzen in einem Glashaus“ – wobei die grüne Europaabgeordnete dennoch zwischen heiklen Manövern der Bürgerplattform und einer systematischen Aushebelung der Rechtsstaatlichkeit à la PiS unterscheiden möchte.

Auf diese Unsicherheit und Unschärfe zielt die Verteidigungsstrategie der neuen polnischen Regierung ab: Am Vorabend der Parlamentsdebatte verschickte Warschau eine Präsentation, die alle Argumente von PiS zusammenfasst und die der „Presse“ vorliegt. Titel des Dokuments: „Polen wandelt sich zum Guten: Freiheit, Pluralismus, Demokratie“. Auf sechs Seiten werden die Vergehen der Vorgängerregierung aufgelistet: etwa angebliche Schikanen der damaligen Behörden gegenüber Medien, die PiS nahestehen. Ein Foto zeigt vermeintliche Verwaltungsbeamte bei dem Versuch, dem Chefredakteur der Wochenzeitung „Wprost“ seinen Laptop zu entreißen. Es war übrigens „Wprost“, die auf dem Cover ihrer jüngsten Ausgabe Angela Merkel, Guy Verhofstadt und Jean-Claude Juncker in Armeeuniformen gezeigt hat, übertitelt mit: „Sie wollen Polen wieder beaufsichtigen“.

Blockade des Höchstgerichts

Szydlo sieht das Bemühen der polnischen Regierung missverstanden. „Wir wollen ein Polen der Chancengleichheit.“ Was das Verfassungsgericht anbelangt, weist die Regierung darauf hin, dass selbst nach den umstrittenen Nachbesetzungen lediglich sechs von 15Höchstrichtern von PiS nominiert wurden. Was in der Unterlage allerdings nicht erwähnt wird, ist die ebenfalls im Schnellverfahren durchgeboxte Gesetzesnovelle, die dem Tribunal bei Urteilen eine Zweidrittelmehrheit vorschreibt. Bei einem zementierten Kräfteverhältnis von sechs zu neun wäre das Verfassungsgericht also nicht mehr beschlussfähig.

Auf ein beherztes Durchgreifen der EU hofft jedenfalls Mateusz Kijowski, Gründer der Protestbewegung Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD). Kijowski, der die Demonstrationen gegen die PiS-Regierung organisiert hatte, weilte zeitgleich mit Szydło in Straßburg, um seine Sicht der Dinge darzulegen: Die Demokratie sei in Polen nicht in Gefahr, wohl aber die Rechtsstaatlichkeit, weil PiS ihren Wahlerfolg als Ermächtigung zur Diktatur der Mehrheit auffasse. Kijowski setzt seine Hoffnung auf ein EU-Verfahren gegen Polen – bis hin zum Entzug des Stimmrechts im Rat: „Das wäre schlimm für die Regierung, aber kein Nachteil für die Bevölkerung.“ Seine Botschaft an die europäischen Entscheidungsträger: „Europa muss uns helfen, Teil Europas zu bleiben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2016)

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