Flüchtlingspolitik: „Verfassungsklage auf dem Tisch“

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CSU-Politiker Weber ist Vorsitzender der größten EU-Fraktion EVP. Er mahnt eine schnelle Reduktion der Flüchtlingsströme an – und droht Griechenland mit Schengen-Ausschluss.

Die Presse: Die CSU zählt zu den größten Gegnern der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Horst Seehofer mahnt, die Forderung nach einer Obergrenze bleibe aufrecht, die Kanzlerin ist dagegen. Wird die CSU ihre Drohung einer Verfassungsklage gegen den Bund wahr machen?

Manfred Weber: Die Zahlen müssen massiv zurückgehen. Der Flüchtlingsandrang, den wir im Herbst erlebt haben, ist auf Dauer nicht denkbar. CDU und CSU sind sich einig, dass wir dabei auf eine europäische Lösung setzen.


Sollte dies nicht gelingen – welchen Zeitraum geben die Christlichsozialen der Kanzlerin, doch noch die geforderte Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr umzusetzen?

Für die CSU und den Freistaat Bayern liegen alle Optionen auf dem Tisch, das politische Ziel einer Reduktion der Ankömmlinge zu erreichen. Da gehört auch die Verfassungsklage dazu – wenngleich sie als wirklich allerletzte Möglichkeit gilt. Seehofer hat deutlich gemacht, dass er keine Klage will.


Sind Sie eigentlich selbst für die Definition einer jährlichen Höchstzahl in Deutschland?

Wir in Europa sind einen Schritt weiter, weil wir feste Kontingente planen, die die EU von der Türkei oder anderen Staaten übernehmen könnte. Diese sollen dazu führen, dass nicht-syrische Migranten etwa in die Türkei zurückgesendet werden können. Wenn weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind, zeigt das in aller Deutlichkeit, dass wir nicht alle nach Europa einladen und jeden willkommen heißen können. Deshalb muss festgelegt werden, wie viele Flüchtlinge die EU im Jahr aufnehmen kann.

Haben Sie die Befürchtung, dass durch die in Österreich definierte Obergrenze mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen?

Das lässt sich schwer abschätzen, die Pläne sind ja noch nicht vollzogen. Österreich setzt jedenfalls klare Signale für eine Begrenzung.

Im vergangenen November wurde ein Aktionsplan mit der Türkei beschlossen. Ist die bisherige Umsetzung vonseiten Ankaras zufriedenstellend?

Einerseits sehen wir das Engagement der Türkei, die ja eine Arbeitserlaubnis für Syrer eingeführt hat und den Menschen damit eine Perspektive gibt. Allerdings spiegelt sich das bisher zu wenig in den Flüchtlingszahlen wider, die in Europa registriert werden. Diese haben sich derzeit wohl eher wetterbedingt reduziert. Wir warten jetzt ab, dass die Türkei liefert. Europas Teil der Vereinbarung hängt vom Rückgang der Zahlen ab.


Halten Sie die Übernahme von 250.000 Kontingentflüchtlingen aus der Türkei, wie dies die niederländische Regierung vorschlägt, für realistisch?

Die Mitgliedstaaten wissen, dass sie die nationalen Egoismen stoppen müssen, damit es eine gemeinsame Lösung geben kann. Selbst in der Slowakei, in Tschechien und Polen gibt es Debatten, die darauf hinweisen, dass man sich einer Lastenteilung nicht grundsätzlich verweigern kann. Wenn aber bis zum EU-Gipfel Mitte Februar kein Kompromiss in Sicht ist, gerät Schengen ins Wanken – und das muss verhindert werden.


Sollten sich osteuropäische Länder weiterhin weigern, sich an der Verteilung zu beteiligen – müssten dann Strafmaßnahmen gesetzt werden?

Ich setze auf die Kraft des Arguments. Wenn wir beginnen zu drohen, würden wir in vielen Mitgliedstaaten die aufkommende Solidarität abwürgen. Die Tatsache, dass wir mit Schengen eine große europäische Errungenschaft riskieren, muss jedem bewusst sein.

Griechenland steht unter massiver Kritik, die EU-Außengrenze nicht rechtmäßig zu schützen. Österreichs Innenministerin, Johanna Mikl-Leitner, hat bereits mit dem Schengen-Ausschluss des Landes gedroht. Für Sie eine gangbare Lösung?

Ministerpräsident Tsipras hat viel versprochen und wenig gehalten. Ein Expertenbericht der EU-Kommission zur griechischen Grenzsicherung ist äußerst negativ ausgefallen, auch die Hotspots existieren großteils noch nicht. Wir müssen an der Außengrenze endlich für Ordnung sorgen und die Gangart deutlich verschärfen. Wenn dort etwa Marokkaner, Ägypter und Pakistani um Einlass bitten, dann müssen sie auch abgewiesen werden können. Ist Griechenland nicht fähig, die Rechtslage umzusetzen, dann ist auch ein temporärer Ausscheiden aus der Schengen-Zone nicht undenkbar.

Wie viel davon bleibt der EU denn zur Lösung der Krise noch?

Die Wochen bis zum Gipfel müssen deutlich machen, dass Europa vorankommt. Nationale Maßnahmen wie vorübergehende Grenzkontrollen bedeuten nicht, dass die europäische Lösung obsolet ist. Im Gegenteil: Sie gibt uns die Chance, Grenzen wieder abzubauen.

ZUR PERSON

CSU-Politiker Manfred Weber ist seit Juni 2014 Vorsitzender der größten Fraktion im Europaparlament, der EVP. Im Juni 2004 wurde er erstmals als Mandatar in das europäische Abgeordnetenhaus gewählt. Davor war der 43-jährige Weber schon zwei Jahre lang Mitglied im Bayerischen Landtag.

Von 2006 bis 2009 war Weber innenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. Der ausgebildete Diplomingenieur lebt mit seiner Frau im bayerischen Landkreis Kelheim.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2016)

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