Camerons EU-Gipfel-Show artet zum Krimi aus

Premierminister David Cameron.
Premierminister David Cameron.(c) REUTERS (YVES HERMAN)
  • Drucken

In Brüssel verhandelte der britische Premier mit den EU-Mitgliedsländern um einen fairen Deal für sein Land – auch noch am Freitag bis spät in die Nacht. Die Gräben zwischen London und dem Rest der EU offenbarten sich als tiefer als erwartet.

Brüssel. ist es noch Show oder schon ein echter Konflikt? Diese Frage stellten sich am Freitag wohl die meisten Zaungäste des Brüsseler Gipfels, bei dem es um die Zukunft Großbritanniens in der EU ging. Im Vorfeld des zweitägigen Treffens war jede Menge Theaterdonner erwartet worden, der in einem strahlenden Sieg von David Cameron kulminieren sollte – auf dass der britische Premierminister daheim glaubhaft erklären könne, den bestmöglichen Deal für die Briten herausgeschlagen zu haben.

Gemäß diesem Drehbuch sollten sich die Schaukämpfe zwischen Cameron und seinen Sparringpartnern bis in die Nacht ziehen – und Freitagfrüh sollte dann der Entwurf einer Einigung mit Großbritannien auf dem Frühstückstisch liegen. Doch daraus wurde nichts: Bis 5.30 Uhr verhandelte Cameron im Brüsseler Ratsgebäude Justus Lipsius, die Morgensitzung aller 28 Staats- und Regierungschefs der Union wurde zunächst auf 11 Uhr, dann auf den Nachmittag, und schlussendlich auf Freitagabend verschoben. Bis dahin wurde in Arbeitsgruppen getagt - mit kleinen Unterbrechungen.

Pommes für Angela Merkel

So wurde Angela Merkel kurz vor 19 Uhr bei der stadtbekannten Fritterie "Maison Antoine" an der Place Jourdan unterhalb des Tagungsortes gesichtet: Die deutsche Bundeskanzlerin stärkte sich mit einer Portion Pommes Frites mit Sauce Andalouse (einer pikanten Mayonnaise) vor der bevorstehenden, bereits zweiten langen Nacht der Briten - wohl auch eingedenk der Warnung des britischen Premiers, er könne notfalls auch bis Sonntag in Brüssel bleiben, um sein Ziel zu erreichen.

Dieses Ziel war Freitagabend zwar näher gerückt, allerdings immer noch unerreicht – denn in den 24-stündigen Verhandlungen offenbarte sich, dass die Gräben zwischen London und dem Rest der EU tiefer waren als im Vorfeld erwartet. Auf mindestens drei Fronten wurde gestern gekämpft: Frankreichs Staatschef, François Hollande, sperrte sich gegen eine Sonderbehandlung der City of London – es geht um die Frage, inwieweit das britische Finanzzentrum von Verpflichtungen freigespielt wird, die für die Mitglieder der Eurozone gelten, und ob Euro-Outsider bei Entscheidungen der Währungsunion mitreden dürfen.

Eine Sonderbehandlung für die City of London könne es nicht geben, warnte Hollande gestern Abend vor dem Beginn der Beratungen. Während Merkel bei "Antoine" dinnierte, gab der Präsident ein Interview dem französischen Radio und forderte bei der Gelegenheit wieder einmal die Schaffung einer eigenen Parlamentskammer für die Mitglieder der Währungsunion samt Eurozonen-Budget - ein europapolitischer Evergreen, an diesem Abend aber eindeutig eine Nebenbaustelle.

Doch zurück zu Brexit: An der zweiten Front standen sich Großbritannien und Belgien gegenüber – „die einzigen zwei EU-Mitglieder, die die Vertragsformel von der immer engeren Union der Völker Europas noch ernst nehmen“, wie ein EU-Diplomat in der Nacht scherzhaft formulierte. Während London eine Ausnahme von der „immer engeren Union“ fordert, will Brüssel an der Formulierung festhalten. Zudem pochten die Belgier darauf, dass in die Vereinbarung mit Großbritannien ein Passus eingebaut werde, wonach der Deal nur dann gilt, wenn die Briten für den Verbleib in der EU votieren. Damit soll verhindert werden, dass London nach einem negativen Brexit-Votum an den Verhandlungstisch zurückkehrt, um bessere Konditionen zu fordern. Gerüchten zufolge käme dieser belgische Passus Cameron allerdings nicht ungelegen, denn auch der britische Premier will die Angelegenheit ein für allemal klären – und verhindern, dass Brexit-Befürworter den Briten weismachen, ein Votum gegen die EU-Mitgliedschaft sei Voraussetzung für einen noch besseren Deal.

Und das dritte Fragezeichen schwebte über der Frage, in welchem Umfang die Briten Sozialleistungen für EU-Ausländer einschränken dürfen. Seine osteuropäischen Kollegen überraschte Cameron mit der Forderung, die Leistungen für insgesamt 13 Jahre zu limitieren – dem Vernehmen nach waren Polen, Tschechien und Co. zunächst aber nur dazu bereit, eine Fünfjahresfrist zu akzeptieren – und das für jene Personen, die derzeit nicht in Großbritannien leben und arbeiten. Die Staats- und Regierungschefs der Visegrád-Gruppe trafen sich Freitagfrüh, um ihre Verhandlungspositionen zu akkordieren – sie wollen verhindern, dass andere EU-Mitglieder auf den Zug aufspringen und die Möglichkeit nutzen, Sozialleistungen zu kappen.

In Dänemark und den Niederlanden wurden derartige Begehrlichkeiten bereits artikuliert, auch Österreich wird nach Auskunft von Kanzler Faymann prüfen, ob die neuen Regeln hierzulande anwendbar seien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.