Die EU-Kommission macht 300 Mio. Euro humanitäre Nothilfe für Athen locker. Der Andrang Richtung Norden hält an.
Man könnte diesen Vorschlag auch als Eingeständnis des Scheiterns bezeichnen: Am Mittwoch schlug die EU-Kommission die Schaffung eines Hilfsfonds für humanitäre Katastrophen innerhalb der EU vor – bis dato war humanitäre Hilfe nur für arme und überforderte Drittstaaten vorgesehen. Doch die offensichtliche Hilflosigkeit der Union im Angesicht der Flüchtlingskrise zwingt die Brüsseler Behörde zum Handeln. Insgesamt 700 Mio. Euro sollen bis Ende 2018 lockergemacht werden, um Verpflegung, medizinische Versorgung und Unterbringung auf EU-Boden zu garantieren.
Der Löwenanteil der für heuer budgetierten 300 Mio. Euro (je 200 Mio. Euro sind für 2017 und 2018 vorgesehen) wird nach Griechenland fließen. In Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen vor Ort sollten die Mittel – sofern Rat und EU-Parlament dem Plan zustimmen – möglichst rasch eingesetzt werden, um die Lage zu verbessern, sagte der für humanitäre Angelegenheiten zuständige EU-Kommissar, Christos Stylianides.
Diese ist vor allem an der griechisch-mazedonischen Grenze prekär, wo geschätzte 10.000 Menschen darauf warten, ihre Reise Richtung Norden fortzusetzen. Der SPÖ-Europaabgeordnete Josef Weidenholzer, der am Dienstag von einem Lokalaugenschein am Übergang Idomeni zurückkehrte, berichtete gestern, dass momentan auffällig viele Kinder an der Grenze ausharrten, und forderte erneut eine europäische Lösung: „Uns wächst eine Generation Turnsaal heran“, sagte Weidenholzer in Anspielung auf die provisorischen Notquartiere für die Flüchtlinge.
Bemühungen "tragen Früchte"
Am Mittwoch ließen mazedonische Grenzschützer 170 Menschen passieren, nach Angaben der serbischen Nachrichtenagentur Tanjug treffen täglich zwischen 900 und 1000 Personen am Grenzübergang ein. Auch in Piräus gingen gestern rund 1000 Menschen an Land, 900 kamen auf Lesbos an. Im Februar registrierte das UN-Flüchtlingswerk 55.000 Ankünfte in Griechenland. Migrationsminister Giannis Mouzalas ging gestern davon aus, dass die Balkanroute Richtung Mitteleuropa unpassierbar bleibt und die Zahl der in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge und Migranten die 100.000-Marke überschreitet. Angesichts der Zahlen erscheint in Brüssel jeder noch so kleine Erfolg wie ein Hoffnungsschimmer: So wies die Kommission gestern darauf hin, dass die griechischen Behörden gerade dabei seien, insgesamt 308 irreguläre Migranten in die Türkei abzuschieben – was EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos zu der Behauptung veranlasste, die Bemühungen fingen an, „Früchte zu tragen“.
Auf weitere Fortschritte hofft man in Brüssel am 7. März beim Sondergipfel EU−Türkei, der von Deutschland initiiert wurde. Berlin und Brüssel setzen nach wie vor darauf, dass Ankara den Flüchtlingsstrom unterbinden werde, und kritisieren Österreich für seine Kontingente und Grenzkontrollen.
Gestern Abend kam Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) nach Brüssel, um mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker über die österreichischen Maßnahmen zu sprechen – und nach der „Aufrüstung der Worte“ in den vergangenen Tagen und Wochen die Wogen zu glätten. Nach eigenen Angaben ist ihm das auch gelungen: Demnach sei Wien nach wie vor an einer europäischen Lösung mit Quoten, Schutz der EU-Außengrenzen und einer Abmachung mit der Türkei interessiert, mit dem Alleingang in Sachen tägliche Obergrenze wollte man „das Tempo erhöhen“. An den von der EU-Kommission kritisierten Obergrenzen wolle man freilich nicht rütteln und werde diese Entscheidung auch rechtlich begründen. Ob diese Begründung ausreicht, um die Brüsseler Behörde davon abzubringen, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich einzuleiten, lässt sich laut Mitterlehner nicht beurteilen. Vom Sondergipfel erwartet er „konkrete Fortschritte“ bei der Sicherung der Außengrenze und bei der Zusammenarbeit mit Ankara.
Weniger Asylanträge
Die Zahl der Asylanträge ist nach den Ankündigungen einer restriktiveren Grenzpolitik Österreichs indes deutlich nach unten gegangen. Vorige Woche wurden 820 Ansuchen gezählt, das ist der niedrigste Wert seit April letzten Jahres. Zum Vergleich: In der antragsstärksten Woche des Vorjahres, der ersten Novemberwoche, wollten 3456 Menschen Asyl in Österreich.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2016)