Digitale Wirtschaft: Europa greift nach der Datenwolke

EU-Kommissar Günther Oettinger forciert die digitale Wirtschaft.
EU-Kommissar Günther Oettinger forciert die digitale Wirtschaft.(c) REUTERS (NIGEL TREBLIN)
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Zwei Supercomputer und eine Serverfarm sollen das Rückgrat einer europäischen Infrastruktur für Austausch und Aufbewahrung wissenschaftlicher Daten bilden.

Brüssel. Dass die Ambition europäischer Vorhaben oft in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu ihrer Umsetzung steht, weiß jeder, der sich noch an die Lissabon-Agenda erinnern kann – ihr zufolge hätte die EU bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt aufsteigen sollen. Mit konkreten, quantifizierbaren Zielen wiederum tut man sich in Brüssel viel leichter. Und zu dieser zweiten Kategorie zählt der am gestrigen Dienstag präsentierte Plan zur Schaffung einer europäischen Datenwolke, die Wissenschaftler der Union miteinander vernetzen und grenzüberschreitende Forschung erleichtern soll.

Vernetzte Wissenschaft

Das sogenannte Cloud Computing – also Austausch, Verarbeitung und Speicherung von Daten in online erreichbaren Rechenzentren – verspricht leichtere Handhabung und bessere Nutzung von Ressourcen. Geht es nach den Vorstellungen der EU-Kommission, soll noch vor Jahresende die European Open Science Cloud in Betrieb gehen – eine Onlineplattform mit knapp 80 Millionen potenziellen Nutzern (1,7 Millionen Wissenschaftler und rund 70 Millionen Mitarbeiter von betrieblichen und institutionellen Forschungsabteilungen).

Die Datenwolke der EU soll in der ersten Ausbaustufe auf der vorhandenen Infrastruktur (sprich den bereits existierenden, kleineren Wölkchen) basieren. Mittelfristig – bis 2020 – ist allerdings die Schaffung einer eigenständigen Hardware geplant: So will die Brüsseler Behörde zwei Supercomputer der neuesten Generation anschaffen, von denen einer unter den weltweit drei schnellsten Rechnern gereiht werden soll, sowie eine große europäische Serverfarm anlegen. Das Vorhaben wurde gestern mit insgesamt 6,7 Mrd. Euro budgetiert. 4,7 Mrd. Euro sollen im Rahmen von öffentlichen und privaten Investitionen aufgestellt werden, die restlichen zwei Milliarden aus dem Topf des mit insgesamt 77 Mrd. Euro dotierten EU-Forschungsprogramms Horizont 2020 kommen.

Apropos EU-Forschungsprogramm: Ein Hintergedanke bei dem Vorhaben ist die Förderung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit innerhalb der EU. Aus diesem Grund sollen ab 2017 die Ergebnisse aller Forschungsprojekte, die mit Horizont-2020-Geldern kofinanziert wurden, den europäischen Wissenschaftlern in der Datenwolke frei zur Verfügung stehen – dafür steht das Wörtchen „Open“ in der offiziellen Bezeichnung. Der für Forschungsfragen zuständige EU-Kommissar, Carlos Moedas, sieht darin die Antwort auf „den in der wissenschaftlichen Community artikulierten Wunsch nach zeitgemäßer Infrastruktur“. Seinem Kollegen Günther Oettinger, der in der Brüsseler Behörde die Agenda digitale Wirtschaft verantwortet, liegt die Entwicklung neuartiger Quantencomputer am Herzen, deren Rechenkapazitäten „weit über das heutige Niveau hinausgehen“.

Mehr Umsatz erhofft

Die EU-Datenwolke ist Teil eines Bündels aus Projekten, mit denen die Kommission Europas Wirtschaft in die Zukunft katapultieren will. Sie beruft sich dabei auf eine Studie der Boston Consulting Group, der zufolge eine umfassende Digitalisierung der europäischen Industrie den Jahresumsatz der Branche um bis zu 110 Mrd. Euro steigern könnte. Noch vor Jahresende will die Brüsseler Behörde die rechtlichen Rahmenbedingungen für das sogenannte Internet der Dinge (also die Vernetzung von Gebrauchsgegenständen) schaffen, Richtlinien für die Finanzierung von Projekten im Bereich digitale Sicherheit entwerfen sowie den grenzüberschreitenden Datenfluss regeln. Eine weitere Priorität ist der Umstieg auf den neuen Mobilfunkstandard 5G.

Die EU-Kommission will dafür sorgen, dass Unternehmer und öffentliche Hand bis 2020 insgesamt 50 Mrd. Euro in Zukunftstechnologien investieren – der Schwerpunkt liegt auf öffentlich-privaten Partnerschaften.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2016)

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