EU-Personal: Heiteres Brüsseler Köpferaten

Barroso
Barroso(c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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Erst ab Irlands Referendum am 2. Oktober werden beim neuen EU-Personal Nägel mit Köpfen gemacht. Wer wird in der neuen EU-Kommission des Portugiesen José Barroso welchen Posten einnehmen?

BRÜSSEL. In diesen Tagen herrscht im Brüsseler Kommentariat eine Stimmung, die an das Fiebern von Fußballfans während der Transferperiode erinnern lässt. Kaum ein Journalist, Lobbyist oder sonstiger Brüssel-Beobachter, der nicht einen todsicheren Tipp hat, wer in der neuen EU-Kommission des Portugiesen José Barroso welchen Posten einnehmen wird: Dass der 53-Jährige weitere fünf Jahre die Geschicke der Kommission leiten wird, ist so gut wie sicher. Am Mittwoch wird er im Europaparlament mit den Stimmen der Europäischen Volkspartei, seiner politischen Heimat, sowie jenen der Liberalen und vermutlich der EU-skeptischen Tories gekürt werden.

Doch genau so, wie kein Fußballfan seriös vorhersagen kann, ob sein Verein endlich den tollen Brasilianer verpflichtet, kann auch kein politischer Kommentator derzeit vertrauenswürdige Aussagen treffen, wen die Mitgliedstaaten in die Kommission entsenden und wer, sofern der Lissabon-Vertrag in Kraft tritt, die neuen Posten des für zweieinhalb Jahre amtierenden EU-Ratspräsidenten sowie des Hohen Vertreters für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU einnehmen wird. Der Letztgenannte, vereinfacht „EU-Außenminister“ gerufen, soll gleichzeitig Vizechef der Kommission werden.

Polen gegen Gazprom-Lobbyisten

So ist zum Beispiel der frühere finnische Ministerpräsident Paavo Lipponen ein heißer Tipp vieler für besagtes neues Amt des EU-Außenministers: Er sei schließlich einer der wenigen europäischen Sozialisten mit dem Profil für diesen Job und komme zudem aus einem der wenigen sozialistisch regierten Länder. Dumm nur, dass Polen bereits ein Veto gegen Lipponen eingelegt hat. Denn Lipponen steht seit August 2008 auf der Gehaltsliste des russischen Staatskonzerns Gazprom, den er beim Bau der Erdgaspipeline Nord Stream berät. Dass man in Warschau wenig Freude bei der Vorstellung hat, ein Lobbyist des Kreml-nahen Konzerns könnte die EU-Außenpolitik koordinieren, liegt auf der Hand.

Eher unrealistisch sind Spekulationen, dass Altbundeskanzler Alfred Gusenbauer diesen Posten bekommt. Zwar ist es nicht vorgeschrieben, dass der EU-Außenminister aus einem Nato-Staat stammt. Dass aber ausgerechnet Österreich, das sich in internationalen militärischen Operationen, gelinde gesagt, nicht wirklich in den Vordergrund drängt, diesen Job zugesprochen erhält, ist wenig vorstellbar. Dazu kommt, dass jenes Land, das den EU-Außenminister stellt, kein zweites Kommissionsmitglied zugesprochen bekommen wird. Weil die SPÖ aber schon vor Monaten die Nominierung des Kommissionsmitglieds der ÖVP zugesprochen hat und diese voraussichtlich ihren früheren Finanzminister Wilhelm Molterer vorschlagen wird, dürfte jenes Gerücht nicht ganz haltlos sein, wonach der „Geheimbesuch“ einer Barroso-Delegation bei Gusenbauer lanciert wurde, um Kanzler Werner Faymann zu kompromittieren. Es darf spekuliert werden, wer daran ein Interesse hat.

Neues Azorentief

Und Großbritanniens Expremier Tony Blair hat gute Chancen, den neuen Posten als Ratsvorsitzender zu bekommen. Dass die Sozialdemokraten im Europaparlament ihn ablehnen, ist unerheblich, denn der wird vom Rat ernannt, also den Mitgliedstaaten. So könnte sich ein Albtraum linksliberaler Kommentatoren verwirklichen: dass zwei der wichtigsten EU-Posten (Kommissions- und Ratspräsident) von Teilnehmern des berüchtigten „Azoren-Gipfels“ vom März 2003 eingenommen werden (also Barroso und Blair), auf dem der damalige US-Präsident George W. Bush seine Verbündeten auf die Invasion des Irak einschwor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2009)

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