Keltischer Tiger sucht in Krisenzeit die Nähe zur EU

(c) AP (Christian Lutz)
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Am 2. Oktober stimmen die Iren zum zweiten Mal über den EU-Vertrag ab – Umfragen prognostizieren klares Ja. Ausschlaggebend für den Meinungsumschwung ist die Krise.

Dublin/London. Diesmal stehen die Zeichen auf einem klarem Ja: Am 2. Oktober sollen die Iren zum zweiten Mal in 15 Monaten über den EU-Vertrag von Lissabon abstimmen. In der jüngsten Umfrage erklärten 62 bis 63 Prozent, sich für das umstrittene Vertragswerk aussprechen zu wollen, das die Iren erst im Juni 2008 mit 53,4 Prozent abgelehnt hatten. Weitere Indizien für ein deutliches Ja sind die auf 15 Prozent gesunkene Zahl der Unentschlossenen und die hohe Mobilisierung: 90 Prozent der rund drei Millionen Wahlberechtigten wollen am 2. Oktober an dem Referendum teilnehmen.

Im Gegensatz zum Vorjahr tritt das Ja-Lager geschlossen auf, während der Führer der Nein-Kampagne Declan Ganley erst in der Vorwoche seinen Beschluss revidierte, dieses Mal nicht in das Referendum einzugreifen. Dass er nun doch wieder für ein Nein wirbt, erklärt der Chef der Libertas-Gruppe mit den „Lügen“ der Befürworter. Diese aber kontern, dass Dublin von seinen EU-Partnern seit dem Nein im Juni 2008 zahlreiche Zugeständnisse erhalten hat. Dank Irland behält jedes Land seinen Kommissar, in Protokollen zum Lissabon-Vertrag werden das Abtreibungsverbot, die Steuerhoheit und die Neutralität der Grünen Insel anerkannt.

Ausschlaggebend für den Meinungsumschwung aber ist die Krise: Heuer werden die Wirtschaft um 8,4 Prozent schrumpfen, das Budgetdefizit auf 12,2 Prozent steigen und die Arbeitslosigkeit von 5,9 Prozent (2007) im kommenden Jahr auf bis zu 15 Prozent wachsen, befürchten Ökonomen. Ohne die EU und die Europäische Zentralbank (EZB) wäre das Land bankrott: „Der Unterschied zwischen Irland und Island ist nicht ein Buchstabe, sondern zwei; E und U“, so Finanzminister Brian Lenihan.

Ein lahmes Kätzchen

Wie der ungeliebte Nachbar Großbritannien hat Irland in den vergangenen Jahren einen Boom genossen, der vor allem auf einer beispiellosen Expansion des Finanz- und Immobiliensektors beruhte. Aus dem ärmsten Winkel Europas erhob sich – aufgeputscht mit Milliarden an Direktinvestitionen und EU-Hilfen – der „keltische Tiger“. Heute ist daraus ein lahmendes Kätzchen geworden.

Besonders teuer – und umstritten – ist die Rettung des Finanzsektors. Die größten Banken des Landes mussten vom Staat gerettet werden, nur Milliarden an EZB-Mitteln erhalten die Liquidität des Sektors. In der Vorwoche stellte die Regierung einen Gesetzesentwurf zur Einrichtung einer „Bad Bank“ ein, in der dramatisch im Wert gefallene oder als wertlos betrachtete Immobilienkredite aufgefangen werden sollen. 77 Milliarden Euro, mehr als 50 Prozent des BIP, will die Regierung für diese Maßnahme aufwenden, von der sie sich „die Rückkehr des Bankensektors zu normaler Kreditvergabe“ erhofft, so Finanzminister Lenihan. 80 Prozent der Iren – und die Opposition – sehen darin aber vor allem eine Rettungsaktion für die Hauptschuldigen der Krise: Geld- und machtgierige Immobilienhaie, die traditionell engste Beziehungen zur Regierungspartei Fianna Fail unterhalten.

Die Debatte über die Bankenrettung überschattet auch das EU-Referendum. Wenn dem Lissabon-Vertrag noch etwas gefährlich werden kann, ist es die Unbeliebtheit der Regierung: Fianna Fail hält in Umfragen gerade bei 15 Prozent. Ministerpräsident Brian Cowen appelliert daher: „Bei der Volksabstimmung am 2. Oktober geht es nicht um innenpolitische Abrechnung, sondern das Gesamtwohl des Staates.“

AUF EINEN BLICK

EU-Referendum. Die Iren, die weniger als ein Prozent der EU-Bevölkerung stellen, entscheiden am 2. Oktober über das Schicksal des EU-Vertrags. Mit ihrer Ablehnung im vergangenen Jahr stürzten sie die EU in eine tiefe Krise. Die irische Regierung hofft beim zweiten Anlauf auf einen positiven Ausgang der Volksabstimmung – nicht zuletzt durch Zugeständnisse aus Brüssel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2009)

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