Worum es in der Ceta-Debatte wirklich geht

Illustration: Marin Goleminov
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Der Handelsvertrag zwischen der EU und Kanada hat auf zahlreiche Sensibilitäten Rücksicht genommen und seine Gegner dennoch nicht überzeugt. Vielleicht auch, weil es ihnen eigentlich um globale und ideologische Fragen geht.

Die Frage scheint simpel: Warum brauchen wir Ceta, das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, überhaupt? Seine Gegner verweisen auf die bereits niedrigen Zölle und auf die bereits vorhandene transatlantische Wirtschaftsverflechtung. Wozu also? Seine Befürworter argumentieren: Es gehe um eine Vergrößerung des europäischen Markts, um mögliche öffentliche Aufträge in Kanada, um mehr Wettbewerb, niedrigere Preise und letztlich für die EU um die Mitgestaltung der globalen Wirtschaft.

Seit die WTO-Verhandlungen über weltweite Handelsregeln de facto blockiert sind, versucht die EU durch bilaterale Handelsverträge ihren globalen Einfluss geltend zu machen. Über 50 solcher Abkommen wurden von der EU-Kommission bereits abgeschlossen. Nun sollen weitere mit Nordamerika, Japan und China folgen. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, denn nur wenn es der EU gelingt, rechtzeitig internationale Standards festzuschreiben, wird sie diese auch beeinflussen können. Andernfalls ist sie von Produktionsnormen und Rechtsrahmen abhängig, die asiatische und amerikanische Staaten untereinander vereinbaren.

Umstrittene Sonderklagerechte

In der ideologisch geprägten Debatte um Ceta ging es auch zuletzt in Wallonien nicht um diese Einzelnormen. Die EU-Kommission hat auf den massiven Widerstand gegen TTIP, dem vorbereiteten Abkommen mit den USA, reagiert und zahlreiche Sicherungen in den Vertrag mit Kanada eingebaut. Er soll weder die in der EU üblichen sozial- noch Umweltstandards unterwandern, noch beispielsweise zu einer Privatisierung der Wasserversorgung führen. Selbst die umstrittenen Schiedsgerichte wurden entschärft und in ein Korsett von Regeln verpackt, damit sie nationale Gesetzesentscheidungen, die „im öffentlichen Interesse“ stehen, nicht aushebeln können.

Dem Abkommen kann angelastet werden, dass es umstrittene Sonderklagerechte enthält. Sie wurden im Interesse von Investoren bereits bei früheren Handelsverträgen vorgesehen. Durch das sogenannte Investor-state Dispute Settlement (ISDS) sollen internationale Investoren die Möglichkeit bekommen, sich gegen eine nachträgliche Diskriminierung durch Gastländer zu schützen. Die Problematik an dieser Form der Absicherung ist eine Asymmetrie zugunsten von Konzernen. Denn solche Klagen werden sich vor allem große Unternehmen leisten können, nicht aber kleine Betriebe, die beispielsweise gern in Kanada Fuß fallen wollen. Sie geben zudem ausländischen Unternehmen eine Klagemöglichkeit, die inländische Unternehmen nicht in Anspruch nehmen können.

Ideologische Kontroverse

Die Kritik an den ISDS bringt aber auch die ideologische Kontroverse in den Fokus. Denn von rechten wie von linken Gruppen wird ein allzu großer Freiraum für internationale Investoren als Gefahr für die kleinräumige beziehungsweise nationale Wirtschaft gesehen. Verfechter einer liberalen Wirtschaftspolitik argumentieren dagegen, dass es im Sinn von Wachstum und Arbeitsplätzen notwendig sei, Investoren möglichst optimale Bedingungen zu bieten. Den Rest regle der Markt.

Faktum ist, dass eine Vergrößerung eines Markts stets neue Nischen und Expansionsmöglichkeiten schafft. Das war bei jeder Erweiterung des EU-Binnenmarkts um neue Mitgliedstaaten so. Die Idee zur Gründung großer Marktzonen mit einheitlichen Regeln ist deshalb längst von asiatischen und amerikanischen Staatengemeinschaften übernommen worden. Die Auswirkungen waren kein Nullsummenspiel mit ebenso vielen Gewinnern wie Verlierern. Insgesamt profitierten alle Teilnehmer – freilich die einen mehr, die anderen weniger.

Das Gegenmodell eines nationalen Protektionismus, wie ihn beispielsweise Indien lang betrieben hat, hat sich nicht durchgesetzt. Die Abschottung eines Markts von ausländischer Konkurrenz konnte zwar einzelne Branchen vor starker Konkurrenz schützen, führt aber zu höheren Preisen und monopolartigen Strukturen.

Ceta ist nur Zwischenschritt

Vielfach wurde Ceta einseitig kritisiert, indem auf die Gefahren für den heimischen bzw. europäischen Markt – etwa durch erleichterte Rindfleischlieferungen aus Kanada – hingewiesen wurde. Selten wurde die andere Seite in die Debatte aufgenommen: Wie sollen europäische Unternehmen mit ihren Furchsäften, Telekomdienstleistungen oder Autoteilen in Kanada langfristig Fuß fassen, wenn sie von diesem Land nach Belieben abgeschottet werden können?

Die EU-Mitgliedstaaten verfügen zwar über einen eigenen großen Binnenmarkt. Doch rund 40 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung generieren sie aus dem internationalen Handel. Ihnen bleibt kaum eine andere Möglichkeit, als sich auf die Globalisierung einzulassen – samt neuer Konkurrenz, aber auch samt neuer Absatzmöglichkeiten.

Ceta ist nur ein weiterer Zwischenschritt zu einer europäischen Mitgestaltung der Globalisierung. Nachdem Bundeskanzler Christian Kern den Widerstand gegen das Abkommen aufgegeben hatte, erklärte er, dass es letztlich auch um eine gesamteuropäische Verantwortung ging. Wie soll es beispielsweise der EU künftig gelingen, gegen ein chinesisches Stahldumping vorzugehen, das europäische Mitanbieter an den Rand ihrer Existenz bringt, wenn ihr nicht einmal gelingt, einen relativ harmlosen internationalen Vertrag umzusetzen? Wie soll sie künftig bei internationalen Verhandlungen zum Klimaschutz oder im Rahmen ihrer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ernstgenommen werden?

Die Frage ist: Wäre es wirklich eine bessere Welt, wenn Europa das globale Spiel anderen überlässt?

Ceta-Lexikon

Verhandlungsdauer. Das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada wurde von 2009 bis 2014 verhandelt. Grundlage dieser Verhandlungen war ein Mandat aller Mitgliedstaaten an die EU-Kommission. Dieses Mandat wurde mit der Forderung nach einem moderneren Investorenschutz 2011 nachgebessert.

Inhalt. Das Abkommen umfasst Regeln zur Reduzierung von Zöllen und anderen Handelsschranken, eine Liberalisierung des gegenseitigen Handels mit Dienstleistungen und einen gegenseitigen Schutz für Investoren. Es legt Regeln für die Zulassung neuer Produkte und der Beachtung von Sozial-, Gesundheits- und Umweltnormen fest.

Umsetzung. Das Abkommen muss von allen EU-Regierungen unterzeichnet werden und vor einer gänzlichen Umsetzung dem Europäischen Parlament und allen nationalen Parlamenten zur Ratifizierung vorgelegt werden.

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