Krise in Irland: Wunderland ist abgebrannt

(c) Reuters (Cathal McNaughton)
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Die irische Wirtschaft liegt am Boden, der Staat ist pleite– und die Menschen zahlen die Zeche. Sollte Irland am Freitag nochmals Nein zum EU-Vertrag sagen, erwarten Experten, dass dies die Finanzierung der Staatsschuld um weitere 200 Millionen Euro verteuern werde.

DUBLIN. „Mehr als 80.000 Arbeitsstunden ohne Unfall“ rühmt ein Plakat an einer riesigen Baustelle an der Hafenmündung von Dublin. Kein Wunder, denn, wo vor 15 Monaten noch rund um die Uhr an einem gigantischen Bauprojekt geschweißt, gebohrt und gehämmert wurde, herrscht heute fast gespenstische Stille. Das Platzen der Immobilienblase hat die irische Wirtschaft in die tiefste Krise seit Generationen gestürzt. In den Außenbezirken der Hauptstadt sieht man heute regelrechte Geisterstädte.

Im Vorjahr war Irland das erste Land der Eurozone, das eine Rezession melden musste. Das war erst der Beginn einer dramatischen Talfahrt: In diesem Jahr wird die Wirtschaftsleistung nach Prognosen um 8,9 Prozent zurückgehen, der tiefste Fall aller westlichen Industriestaaten. Und Irland wird länger in der Krise bleiben: „Wir werden uns erst erholen, wenn die wichtigsten anderen Staaten wieder wachsen“, meint John Fitz Gerald, Leiter des angesehenen Economic and Social Research Institute in Dublin (siehe Interview rechts). „Das bedeutet: Erst ab 2011 wird die irische Wirtschaft wieder wachsen.“

Das Platzen der Immobilienblase hatte für die irische Wirtschaft denselben Effekt wie im benachbarten Großbritannien. Die Bauwirtschaft kollabierte, zehntausende Menschen verloren ihre Jobs, die Banken saßen auf einmal auf Milliarden an uneinbringlichen Krediten und (mehr oder weniger) wertlosen Sicherheiten, der Privatkonsum brach ein. Der Staat musste eingreifen: In einer von der EU zunächst als Panikaktion angesehenen Reaktion garantierte die irische Regierung im Vorjahr alle Sparguthaben. Zudem flossen Milliarden Euro in die Rekapitalisierung der zwei größten Banken des Landes.

Möglich wurde die Rettung des Bankensektors nur durch Hilfe der Europäischen Zentralbank, die laut EU 77Prozent der zur Verfügung gestellten Liquidität aufbrachte (im Tausch gegen Staatsschuldscheine). „Irland hat 15Prozent aller EZB-Mittel bekommen, obwohl die irische Wirtschaft gerade ein Prozent des BIPs der Eurozone ausmacht“, betont Martin Territt, der Leiter der EU-Vertretung in Dublin.

Ablehnung brächte Teuerung

Die Sorge um die Stabilität Irlands war auf den Märkten in den ersten Monaten des Jahres so groß, dass die Risikoprämien für Staatsschulden um das Vierfache stiegen. Sollte Irland am Freitag nochmals Nein zum EU-Vertrag sagen, erwarten Experten, dass dies die Finanzierung der Staatsschuld um weitere 200 Millionen Euro verteuern werde.

Die Regierung hat die Ausgaben 2009 um 3,5 Prozent des BIPs gekürzt, für das nächste Jahr wird dasselbe angepeilt. Schon hat der politische Streit begonnen, wo die geplanten vier Milliarden gefunden werden können. In der Referendumkampagne erweist sich diese Diskussion als wenig hilfreich. Zugleich steigt die Arbeitslosigkeit rapid: von derzeit 12,2 Prozent auf geschätzte 15 Prozent bis Jahresende.

Ebenso wenig hilfreich ist für die Regierung die Auseinandersetzung um eine irische „Bad Bank“. Die Regierung hat endlich einen Entwurf vorgelegt, mit dem die Banken von ihren faulen Krediten und wertlosen Sicherheiten befreit und damit wieder zu normaler Geschäftstätigkeit bewegt werden sollen. Der veranschlagte Betrag von 77 Milliarden, mit dem die in die „Bad Bank“ transferierten Werte bewertet werden, sorgt freilich für Unmut. 80% der Iren meinen, die „Bad Bank“ werde nur der Rettung jener dienen, „die uns den ganzen Mist eingebrockt haben: der Banken, Immobilienhaie und korrupten Politiker“.

HINTERGRUND

Viele Jahre verzeichnete das einst arme Irland einen Boom, der vor allem auf einer Expansion des Finanz- und Immobiliensektors beruhte. Die EU half mit Milliarden an Direktinvestitionen, Irland wurde zum „keltischen Tiger“. Heute ist es in der EU das Hauptopfer der Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008, die EZB federte die Folgen allerdings ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2009)

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