"Müssen endlich zwischen Flüchtlingen und Migranten unterscheiden"

"Müssen endlich zwischen Flüchtlingen und Migranten unterscheiden"
"Müssen endlich zwischen Flüchtlingen und Migranten unterscheiden"APA/AFP/THIERRY CHARLIER
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Migration über das Mittelmeer wird die nächste große Herausforderung für die EU, so der Tenor einer Diskussion in Wien. Erweiterungskommissar Hahn warnt vor "neuem Druck" aus Afrika.

Während der EU-Türkei-Deal und Grenzschließungen die Flüchtlingsbewegung über die Balkanroute stark reduziert hat, ist die Migration über das Mittelmeer ungebrochen hoch. Eben diese Gruppe - die nicht primär vor Konflikten, sondern auf der Suche nach einer besseren Zukunft flieht - wird die nächste große Herausforderung für die EU, war der Tenor bei einer Podiumsdiskussion am Donnerstag in Wien.

"Wir müssen endlich beginnen, zwischen Flüchtlingen und Migranten zu unterscheiden", forderte EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn. "Das Flüchtlingsthema haben wir auf eine effiziente Weise gelöst, aber noch nicht das Migrationsthema." Im Zentrum stehe hier Afrika, dessen Bevölkerung sich von aktuell 1 bis 1,2 Milliarden, bis 2050 verdoppeln und bis 2100 auf vier Milliarden ansteigen werden, so der frühere ÖVP-Politiker. "Das ist (für den Kontinent, Anm.) nicht tragbar und das wird neuen Druck erzeugen."

Besonders hob Hahn Ägypten hervor, das "die größte Herausforderung werden könnte". Aktuell steige die Bevölkerung um fast zwei Millionen Menschen pro Jahr, diese würden sich zum überwiegenden Großteil im ohnehin schon sehr dicht besiedelten Nildelta drängen und kreiere eine Nachfrage von Zehntausenden zusätzlichen Jobs pro Jahr, so der EU-Kommissar.

"Migrationspartnerschaften zeigen ermutigende Resultate"

Zustimmung erntete Hahn vom maltesischen Außenminister George Vella, der das Migrationsthema zu einer der drei Prioritäten des im Jänner beginnenden EU-Ratsvorsitzes seines Landes machen will. "Die EU-Migrationspartnerschaften (eine Art Investitionsabkommen mit Niger, Nigeria, dem Senegal, Mali und Äthiopien, Anm.) zeigen bereits erste, sehr ermutigende Resultate", gab er sich zugleich zuversichtlich.

Als großes Problem nannte Maltas Spitzendiplomat das Bürgerkriegsland Libyen, von wo aus sich der überwiegende Großteil der Schutzsuchenden aus Afrika auf den Weg nach Europa macht. Das Land "verfügt über keine richtige Regierung, die Einfluss auf die Grenzkontrolle oder den Flüchtlingsstrom nehmen kann", so Vella. Die EU startete zwar kürzlich mit der Ausbildung von knapp 100 libyschen Küstenwächtern und theoretisch verfügt das Bürgerkriegsland auch über eine von der UNO unterstütze "Regierung der Nationalen Einheit", de facto hat diese aber weiterhin keine Kontrolle über große Teile des Landes.

Mögliche Lösung wären aus Vellas Sicht vorübergehende, legale Einreisemöglichkeiten in die EU auch für Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen fliehen. "Wir können ihnen einen Aufenthalt für kurze Zeit erlauben, damit sie hier Fähigkeiten lernen und dann mit dem Wissen und auch finanziellen Mitteln in ihre Heimatländer zurückgehen können."

Einen umgekehrten Blickwinkel auf das Migrationsthema lieferte die Vize-Generalsekretärin der Internationalen Organisation für Migration (IOM), Laura Thompson. Alle würden immer nur von den Push-Faktoren reden wie Armut, fehlende Arbeitsplätze oder der starke Bevölkerungszunahme, sagte sie, nie von den Pull-Faktoren auf europäischer Seite, nämlich die Existenz schlecht bezahlter Jobs, für die sich keine Europäer fänden. "Solange sich das nicht ändert, werden wir nie zu einer stimmigen Migrationspolitik kommen."

Kurz: "Was auf der Balkanroute funktioniert hat, kann auch anderswo funktionieren"

Sebastian Kurz (ÖVP), der als Außenminister Gastgeber für die vom Internationalen Zentrum für Migrationspolitikentwicklung (ICMPD) in seinem Ministerium veranstaltete Konferenz war, forderte erneut das Rezept zur Eindämmung der Flüchtlingsbewegung auf der Balkanroute - Grenzschließung und EU-Türkei-Deal - auch auf das Mittelmeer anzuwenden. "Was auf der Balkanroute funktioniert hat, kann auch anderswo funktionieren", sagte er. Bereits im Juni hatte Kurz gemeinsam mit Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil und (SPÖ) und Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) einen Migrationsplan vorgelegt, der vorsieht, im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge in "Asyl-und Migrationszentren" in afrikanische Drittstaaten zurückzuschicken.

Sein Vorgänger als Außenminister und jetziger Generaldirektor des ICMPD, Michael Spindelegger, hatte dem bereits zuvor eine Absage erteilt. "Niemand in Brüssel denkt aktuell daran, ähnliche Abkommen wie der EU-Türkei-Deal mit nordafrikanischen Ländern abzuschließen", erklärte er vor Journalisten. Aktuell stünden Investitionsprogramme im Rahmen von EU-Migrationspartnerschaften mit den Herkunftsländern im Fokus. Oder auch der Libanon und Jordanien, die eine Rekordzahl syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen haben und die bei deren Versorgung unterstützt werden müssten. "Das ist jetzt vordringlich, denn es ist auch nicht gottgegeben, dass die alle dort bleiben."

(APA)

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