Schicksalstag für Europa

Könnte bei Niederlage zurücktreten: Premier Matteo Renzi hat sein politisches Überleben an das Votum vom 4. Dezember geknüpft.
Könnte bei Niederlage zurücktreten: Premier Matteo Renzi hat sein politisches Überleben an das Votum vom 4. Dezember geknüpft.(c) Gregorio Borgia /picturedesk.com
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Am 4. Dezember richten sich Europas Blicke nicht nur auf die Präsidentenwahl nach Wien, sondern auch aufs Verfassungsreferendum nach Rom. Die Märkte sind nervös.

Am Sonntag in einer Woche stimmt Italien über eine Verfassungsreform ab. Premier Matteo Renzi hat seine politische Zukunft daran gebunden. Beppe Grillos Radikalpopulisten machen sich Hoffnungen auf Neuwahlen. Hier die wichtigsten Fragen zu diesem historischen Referendum, bei dem auch die Stabilität der Eurozone auf dem Spiel steht.

1. Warum sind das Referendum und sein Ausgang für Europa wichtig?

Scheitert Matteo Renzi, ist unklar, wie lang er sich noch als Premier halten kann. Eine Niederlage Renzis würde der europhoben Fünf-Sterne-Bewegung in die Hände spielen. Beppe Grillos Radikalpopulisten haben Renzis Linksdemokraten in Umfragen überholt. Seit im von den Grillini geführten Rom noch mehr als früher das Chaos regiert, sinkt der Stern der Bewegung. Doch das Referendum könnte die Dynamik wieder drehen. In Berlin und Brüssel hofft man auf einen Renzi-Sieg. Nach dem Brexit-Votum und vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich, bei denen ein Sieg des Front National unter Marine Le Pen realistisch ist, wünscht sich niemand noch mehr Unsicherheit. Die Märkte sind bereits hoch nervös: Investoren befürchten einen Euroaustritt Italiens. Nicht nur, weil die Grillini das fordern. Sondern weil der Renzi-Abgang den Reformprozess stoppen und die verschuldete drittgrößte Euro-Volkswirtschaft ins Chaos führen würde – mit Folgen für die gesamte Eurozone.

2. Was soll in der Verfassung geändert werden?

Der wichtigste Punkt ist die Beschneidung des Senats. Der Bicameralismo, das Zweikammersystem, soll de facto abgeschafft werden. Der Senat bleibt zwar als Kammer bestehen, statt bisher 315 soll es künftig aber nur noch 100 Senatoren geben, die aus den Regionen entsandt werden. Das soll jährlich 150 Millionen Euro einsparen. Auch soll der verkleinerte Senat nur noch Mitspracherecht bei Verfassungsänderungen haben. Bisher verabschieden Senat und Abgeordnetenkammer alle Gesetze gemeinsam. Verlangt eine Kammer eine Änderung, wird das Gesetz wieder an die andere weitergereicht – ein Pingpong-System, das Reformen oft um Jahre verzögert. Auch soll dem Senat das Recht entzogen werden, der Regierung die Vertrauensfrage zu stellen. Das hat in der Vergangenheit oft zu Lähmung und politischem Chaos geführt.

3. Warum ist Ministerpräsident Matteo Renzi diese Reform so wichtig?

Renzi hat im Februar 2014 die Regierung Italiens mit dem Vorhaben übernommen, den alten Politikbetrieb zu entrümpeln. Als „Verschrotter“ werde er aufräumen, jeden Monat werde es eine Reform geben, so sein Versprechen. Dies hat er zwar nicht eingehalten, aber dennoch ein paar Veränderungen auf den Weg gebracht. Für Renzi ist der Bicameralismo Grund für die Instabilität und Reformunfähigkeit des Landes: In den vergangenen 70 Jahren hatte das Land 63 Regierungen. Renzi will mit der Reform für klare Verhältnisse und handlungsfähige Regierungen sorgen.

4. Was sagen die Gegner der Reform?

Die inhaltliche Debatte wird kaum geführt – Gegner der Reform sind vor allem Gegner Renzis. Sie kommen aus allen Lagern: der Fünf-Sterne-Bewegung, der extremen Linken und Rechten sowie aus Teilen von Silvio Berlusconis Forza Italia. Auch Renzis eigene Partei, der Partito Democratico, steht nicht geschlossen hinter dem Premier. Vor allem der linke Flügel macht Stimmung gegen den Florentiner. Verfassungstheoretiker stört der Umbau von einem föderalen Zweikammersystem hin zum Zentralismus.

5. Renzi wird nicht nur für die Reform kritisiert, sondern auch für das Referendum – warum?

Das Parlament hat dem Gesetzespaket im April bereits zugestimmt. Renzi kündigte danach dennoch sofort an, das Volk zu befragen. „Das Instrument eines Referendums ist eigentlich für die Opposition vorgesehen, um von ihr kritisierte Entscheidungen der Regierung rückgängig machen zu können“, sagt Michele Prospero, Professor an der Uni La Sapienza in Rom. Dass nun die Regierung selbst ihre Gesetze vom Volk absegnen lässt, führe das ganze Konstrukt ad absurdum. „Mit diesem Referendum setzt Renzi alles aufs Spiel, er riskiert die Stabilität des Landes – und das vollkommen unnötig“, so Prospero.

6. Wird Renzi zurücktreten, wenn das italienische Volk mit Nein stimmt?

Im Frühjahr hat Ministerpräsident Renzi verkündet, den Ausgang des Referendums mit seinem Schicksal zu verbinden. Ende August ist er von dieser Haltung etwas abgerückt. Egal, was bei der Abstimmung herauskommt, „die nächsten Wahlen wird es 2018 geben“, sagte er in einem Interview, um im November wieder überraschend zu bestätigen, dass er im Fall einer Niederlage gehen werde. Es ist ein Hin und Her. Im Oktober noch hat Innenminister Alfano erklärt, die Regierung werde jedenfalls im Amt bleiben.

7. Wie stehen die Chancen, dass Renzi sein Referendum durchbekommt?

Für Renzi sieht es nicht gut aus. Anfang September lagen die Befürworter und Gegner der Reform noch nahezu gleichauf. Bei der jüngsten Umfrage war das Lager der Gegner allerdings sieben bis zehn Prozentpunkte voran. So mancher Wähler sieht nun die Möglichkeit, Renzi in seine Schranken zu weisen. Viele Italiener stört es, dass er nie demokratisch vom Volk zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Nach dem Rücktritt Enrico Lettas am 14. Februar 2014 übergab dieser die Regierung ohne Neuwahlen an Renzi und dessen Kabinett.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2016)

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