Faymann verhinderte einen EU-Außenminister Gusenbauer

Faymann verhinderte einen EUAussenminister
Faymann verhinderte einen EUAussenminister(c) APA (Roland Schlager)
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Werner Faymann verdrängte Alfred Gusenbauer zuerst vom Kanzleramt und verhinderte dann, dass dieser Vizepräsident der EU-Kommission und EU-Außenminister wird. Die Chronologie einer Demontage.

Er mochte das Sofi-Tel am Place Jourdan. Vom Brüsseler Designer-Hotel aus spazierte Alfred Gusenbauer gerne hinüber zu den EU-Institutionen und zu seinen Sitzungen mit den sozialdemokratischen Parteikollegen. Hier fühlte er sich wohl, hier wurde er akzeptiert. Wirkten andere österreichische Politiker auf dem Brüsseler Parkett verkrampft, so lebte Gusenbauer sichtlich auf, sobald er die EU-Hauptstadt betrat.

Bei einem gemeinsamen Frühstück im Sofi-Tel am Rande seines letzten EU-Gipfels wurde der Unterschied noch deutlicher: Gusenbauer gab den Parade-Europäer und schwebte über den innenpolitischen Spielchen, die er als seicht bezeichnete. Da war seine Zeit als Bundeskanzler bereits abgelaufen. Von der EU-Kritik, mit der er via Leserbrief an die „Kronen Zeitung“ noch versucht hatte, seinen Kopf zu retten, wollte er nichts mehr wissen.


So wie Wolfgang Schüssel, so wie Wilhelm Molterer und Ursula Plassnik signalisierte er Interesse an einem Job in den EU-Institutionen. In den Monaten danach sollte er näher an diesem Ziel sein, als er es je erhoffen durfte. Er hatte Chancen auf einen der höchsten Posten der Europäischen Union: den EU-Außenminister, der gleichzeitig als Vizepräsident der EU-Kommission fungiert. Verhindert wurde Gusenbauers mögliche neue Karriere auch von seinem Nachfolger Werner Faymann.

September 2008

Am 30. September reicht Alfred Gusenbauer seinen Rücktritt als Kanzler bei Bundespräsident Heinz Fischer ein. Es gibt in der SPÖ keinen Deal über Gusenbauers persönliche Zukunft. Allerdings stellt der scheidende Kanzler gegenüber seinem Nachfolger Faymann klar, dass er gerne als Österreichs Kommissar nach Brüssel wechseln möchte. Faymann versichert ihm seine Unterstützung, ohne aber konkret zu werden. Das Verhältnis zwischen den beiden ist gestört. Es ist Faymann gewesen, der Gusenbauer von der Macht gedrängt hat.

November 2008

Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP geht es bereits um den künftigen Kommissarsposten. Der Deal, der sich abzeichnet: Die SPÖ behält den ORF-Generaldirektor, die ÖVP erhält im Gegenzug das Vorschlagsrecht für den Top-EU-Job. Faymann vertröstet danach Gusenbauer, dass es noch keine Einigung mit der ÖVP gebe.

Februar 2009

In der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) werden Stimmen laut, Gusenbauer als Ratspräsidenten oder EU-Außenminister einzusetzen. SPE-Chef Poul Nyrup Rasmussen führt ein Gespräch mit Bundeskanzler Werner Faymann in Wien über die neu zu besetzenden EU-Posten. Rasmussen bringt dabei auch Gusenbauer ins Spiel. „Er hat ins Konzept gepasst. Er war Regierungschef, hatte ausreichende internationale Erfahrung. Und er war in der SPE anerkannt“, so der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz.

Die SPE fordert zu diesem Zeitpunkt einen der höchsten EU-Posten, weil immer klarer wird, dass der konservative José Manuel Barroso Kommissionspräsident bleiben dürfte. Der ehemalige britische Premier Tony Blair, der lange als SPE-Kandidat für den Ratspräsidenten oder den Doppelposten als EU-Außenminister und Vizepräsident der EU-Kommission genannt wurde, wird von den Spitzenpolitikern der Sozialdemokraten mehrheitlich abgelehnt. Auch im Europaparlament ist Blair schlecht angeschrieben. Mit ein Grund ist sein Engagement im Irak-Krieg. Die Karten für Gusenbauer sind hingegen gut. „Alfred wurde immer wieder genannt. Und zwar nicht nur als EU-Außenminister, sondern auch als EU-Ratspräsident. Was sehr für ihn spricht: Er hat das nie selbst betrieben“, bestätigt Schulz im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“.

Juni 2009

Nach den Europawahlen ist klar, dass die Europäische Volkspartei als stärkste Fraktion im EU-Parlament sowohl den Kommissionspräsidenten als auch den Ratspräsidenten nominieren darf. Den Sozialdemokraten wird im Gegenzug der attraktive Posten des EU-Außenministers zugesichert.
Unter den SPE-Parteichefs zeichnet sich zu dieser Zeit sogar eine Mehrheit für den österreichischen Exkanzler ab. Im Rennen ist auch der italienische Ex-Außenminister Massimo D'Alema. Doch ihm droht seine kommunistische Vergangenheit zum Verhängnis zu werden. Er wird vor allem von den Osteuropäern abgelehnt. Später löst auch seine bekannt Israel-kritische Haltung Widerstände aus.

Gusenbauer hat einflussreiche Verbündete: SPE-Chef Poul Nyrup Rasmussen, Portugals Regierungschef José Socrates, sein spanischer Amtskollege José Luis Zapatero und mehrere osteuropäische Regierungs- und Parteichefs wie etwa der Slowake Robert Fico nennen den Österreicher als geeigneten Kandidaten. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel erinnert sich gegenüber der „Presse am Sonntag“: „Alfred Gusenbauer galt in der SPE als Kandidat für den EU-Außenministerposten.“

»Gusenbauer war als Kandidat im Gespräch. «

Sigmar Gabriel, Vorsitzender der deutschen Sozialdemokraten (SPD)

Faymann blockt aber von Beginn an ab. In der Öffentlichkeit leugnet er stets, dass Gusenbauer im Rennen ist. „Es ist der Eindruck entstanden, er will ihn verhindern“, gibt ein osteuropäischer Sozialdemokrat die damalige Stimmung wieder. Fürchtet Faymann, dass sein Vorgänger wiederaufersteht und in Brüssel seine EU-kritische Linie konterkariert?

Oktober 2009

Die SPE bildet ein Team, das die Personalbesetzung verhandeln und koordinieren soll. Es besteht nicht nur aus SPE-Chef Poul Nyrup Rasmussen, José Luis Zapatero und Martin Schulz. Auch Faymann ist in dem Quartett, das nun entscheiden soll. „Faymann hat in unseren Gesprächen klargemacht, dass er Gusenbauer nicht nennen kann, weil er durch eine Übereinkunft mit dem Koalitionspartner gebunden sei“, erzählt Schulz von den internen Unterredungen. Es habe aber dennoch weiterhin Rufe aus der SPE nach einer Nominierung Gusenbauers gegeben. „Viele, die sich weiter für Alfred eingesetzt haben, haben nicht verstanden, dass Faymann die Hände gebunden waren. Es hätte jemand anderer Gusenbauer nominieren müssen“, so Schulz.

»Alfred Gusenbauer wurde immer wieder genannt, nicht nur als EU-Außenminister, auch als EU-Ratspräsident.«

Martin Schulz, Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament

Am 27. Oktober einigen sich ÖVP und SPÖ auf Johannes Hahn als österreichischen EU-Kommissar. Nach dem EU-Gipfel am 29. Oktober 2009 setzen sich die sozialdemokratischen Regierungschefs nochmals zusammen. Gusenbauers Chance lebt immer noch. Einige Granden appellieren an Faymann, Gusenbauer nachzunominieren. Schulz: „Gusenbauer war bereits als Oppositionspolitiker in Europa stark vernetzt. Er hat dies auch als Regierungschef weiterbetrieben. Er war sehr aktiv.“ Faymann hat sich aber bereits festgelegt. Am Rande des EU-Gipfels in Brüssel streitet er öffentlich ab, dass einige SPE-Führer Gusenbauer als Außenminister wollen: Gusenbauers Name sei bei den Debatten in der sozialdemokratischen Parteifamilie „kein einziges Mal“ genannt worden.

»Gusenbauers Name ist bei Debatten in der SPE kein einziges Mal genannt worden.«

Werner Faymann am Rande des EU-Gipfels am 29.Oktober 2009

November 2009

Die Nominierung der EU-Spitzenposten geht in die Endrunde. Am 9. November beraten die EU-Staats- und Regierungschefs am Rande der Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer über die neue EU-Spitze. Schon auf dem Flug nach Berlin verrät Faymann Journalisten, dass sich auf konservativer Seite eine Einigung auf den belgischen Regierungschef Herman Van Rompuy abzeichnet. Die Wahl des künftigen EU-Außenministers ist immer noch offen. Faymann gefällt sich in der Rolle des Königmachers, im Flieger geht er die Optionen durch: den britischen Außenminister Miliband (der zu diesem Zeitpunkt schon abgewinkt hat), den Italiener D'Alema, die EU-Handelskommissarin Catherine Ashton als britische Alternative und als Außenseiterin die Griechin Anna Diamantopoulou. Nur einen nennt er nicht: Gusenbauer. „Ich setze mein politisches Kapital doch nicht für jemanden ein, der keine Chance hat“, sagt er auf Nachfrage der mitreisenden Journalisten.

»Die ÖVP hätte aus Staatsräson auf den Kommissarsposten verzichtet und Gusenbauer unterstützt.«

Michael Spindelegger, ÖVP-Außenminister

ÖVP-Außenminister Michael Spindelegger sieht das im Rückblick anders. „Gusenbauer war ein Kandidat für den Job des EU-Außenministers. Und ich bleibe dabei: Die ÖVP hätte aus Staatsräson auf den Kommissarsposten für Hahn verzichtet und Gusenbauer unterstützt“, sagt er der „Presse am Sonntag“. Dieses Angebot hat er dem Koalitionspartner schon am 5. November öffentlich unterbreitet und damit nicht nur Freude in der ÖVP ausgelöst.

Rund eine Woche, bevor die Würfel endgültig gefallen sind, ist Gusenbauer noch immer im Spiel. Die Sprecherinnen von SPE-Chef Rasmussen und dem EU-Außenbeauftragten Solana bestätigen im Nachrichtenmagazin „Profil“, dass Gusenbauer auf einer Short-List für den Außenminister-Posten ist. Doch Faymann blockt ab und sagt in der Zeitung „Österreich“: „Ich schätze Gusenbauer besonders, aber er wurde in den Gesprächen bisher kein einziges Mal als Kandidat genannt.“

Langsam wendet sich auch im Rest der SPE das Blatt gegen Gusenbauer. Der spanische Regierungschef José Luis Zapatero engagiert sich nicht mehr für ihn. SPE-Chef Rasmussen revidiert am 16. November seine eigene Sprecherin: Gusenbauer sei nicht auf der Short-List für den Außenminister-Posten. Hat da jemand interveniert?

Die Entscheidung

Am 19. November tritt in Brüssel ein Sondergipfel zur Nominierung des neuen EU-Führungsteams zusammen. Bundeskanzler Werner Faymann lädt am Nachmittag seine SPE-Kollegen in die österreichische EU-Vertretung in Brüssel. Es geht um die Nominierung des EU-Außenministers. Der britische Labour-Chef Gordon Brown drängt erneut darauf, dass sein Land einen der EU-Spitzenposten erhalten müsse. Er kann argumentieren, dass sowohl der Posten des Kommissionspräsidenten als auch der des Ratspräsidenten an kleinere Länder (Portugal und Belgien) gehen. Jetzt sei ein großes Land dran. Nachdem für die Posten in der EU-Kommission zu wenig Frauen nominiert wurden, ist nun der Weg frei für die Britin Catherine Ashton. Sie hat außenpolitisch zwar keine Erfahrung, aber auch Faymann setzt sich für die bisherige EU-Handelskommissarin ein. „Sie war meine Kandidatin“, sagt er später. Auch Spaniens Premier ist nun für Ashton. Sie wird durch den anschließenden EU-Gipfel als „Hohe Repräsentantin für Außenpolitik“ und als Vizepräsidentin der EU-Kommission nominiert. Herman Van Rompuy wird zum neuen Ratspräsidenten bestellt.

Bis heute will Kanzler Faymann von keiner europäischen Chance seines Vorgängers wissen. Seine Pressesprecherin bestreitet noch diese Woche im Telefonat mit der „Presse am Sonntag“, dass Gusenbauer für einen Posten in Brüssel im Gespräch gewesen sei. Eine Klarstellung sei nicht möglich, nicht notwendig. Faymann bleibt bei der Unwahrheit.

(Die Presse, Printausgabe, 14. 03. 2010)

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