Keine EU-Bürgerinitiative für Minarettverbot

(c) BilderBox (Erwin Wodicka)
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Ab 2011 darf man Petitionen an die Kommission richten. Sie wird sich zu heiklen Themen äußern müssen, wie etwa dem Bau von Minaretten in der Union oder der Wiedereinführung der Todesstrafe.

BRÜSSEL. Schon in einigen Monaten werden sich die 27 EU-Kommissare mittwochs bei ihren Sitzungen heiklen politischen Fragen stellen müssen, vor denen sie sich bisher drücken konnten. Soll man den Bau von Minaretten in der Union verbieten? Soll man die Todesstrafe wieder einführen? Und soll man ein für alle Mal die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abbrechen?

Solche Themen könnten zum Gegenstand von Bürgerinitiativen werden, die der EU-Reformvertrag von Lissabon einführt. Genau genommen ist dies das Recht von mindestens einer Million Unionsbürgern, eine Petition mit dem Inhalt an die Kommission zu richten, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten neue EU-Gesetze zu erlassen.

Allerdings wird die Bürgerinitiative nicht bewirken, dass man die Kommission dazu zwingen kann, neue Richtlinien oder Verordnungen zu erlassen. Insofern ist das Schlagwort von der „direkten Demokratie“, das in diesem Zusammenhang oft verwendet wird, ebenso fehl am Platz wie der Vergleich mit den Referenden in der Schweiz, die sich tatsächlich in konkreten Akten der Gesetzgebung oder Verwaltung niederschlagen. Während die Kommission also nach Prüfung einer Bürgerinitiative jederzeit zum Schluss kommen darf, nichts zu tun, sind in der Schweiz die jeweiligen Instanzen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene bis auf eng umrissene Ausnahmen zu einem konkreten Handeln verpflichtet.

„Todesstrafe gegen europäischen Werte“

Zudem sieht der Vorschlag der Kommission, dem Europaparlament und Rat zustimmen müssen, zwei Schranken vor, um offensichtlich scherzhafte und missbräuchliche Initiativen ebenso im Keim zu ersticken wie solche, die „deutlich gegen die Werte der Union verstoßen“, sagte Maroš Šefčovič, der für Verwaltung und die Beziehungen zu den anderen EU-Institutionen zuständige Kommissar, am Mittwoch. „Die Todesstrafe ist jedenfalls gegen die europäischen Werte.“

Weniger klar ist die Antwort auf die Frage, ob man mit so einer Initiative einen Antrag auf das Verbot von Minarette stellen könnte. Denn was zu den „europäischen Werten“ zählt, lässt sich ebenso wenig abschließend beantworten wie die Frage, wie zu entscheiden ist, wenn zwei dieser Werte aufeinander prallen – im Fall eines Minarettverbots das Recht auf Religionsausübung mit jenem auf freie Meinungsäußerung.

Eine Anti-Minarett-Initiative wird die Kommission wohl mit dem Hinweis abweisen können, dass Bauvorschriften nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Wie aber ist es bei der Frage, ob man der Türkei per Bürgerinitiative die Tür zur EU zuknallen kann? „Ich denke, dass die Fragen der Erweiterung und der Türkei auf den Tisch kommen werden“, sagte Šefčovič. „Das ist die Art von Diskussion, die ich künftig erwarte.“

14.250 Stimmen in Österreich nötig

Bis die Kommission solche Offenbarungseide leisten muss, sind noch einige Hürden zu überwinden. Hat der Organisator einer Initiative selbige bei der Kommission angemeldet, hat er zwölf Monate Zeit, um eine Million Unterstützungserklärungen aus mindestens einem Drittel der Mitgliedstaaten (also derzeit neun) zu sammeln. In jedem Staat müssen es pro EU-Abgeordnetem 750 Erklärungen sein. Das macht in Österreich bei 19 Mandataren 14.250 Stück.

Sobald 300.000 Unterschriften aus mindestens drei Staaten vorliegen, kann er die Kommission dazu auffordern, ihre inhaltliche Zuständigkeit zu prüfen. Nach Ablauf der zwölf Monate muss die Kommission nach dreimonatiger Prüfung der Unterschriften binnen vier weiterer Monate kundtun, was sie zu tun gedenkt. Tut sie nichts, muss sie das öffentlich begründen, wogegen man beim Europäischen Gerichtshof und beim Europäischen Ombudsmann Beschwerde einlegen kann, sagte Šefčovič.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2010)

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