EU-Agrarpolitik: Der Acker ist gepflügt

(c) Clemens Fabry
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Europas Abhängigkeit von Importen steigt. Die Preise auch. Doch die Agrarier halten an den Subventionen fest. Seit mehr als einem Jahrzehnt klafft die Lücke zwischen Einfuhren und Ausfuhren landwirtschaftlicher Güter.

BRÜSSEL. Europas Bauern haben es gut: Weltweit steigen die Preise für ihre Erzeugnisse, weil sich immer mehr Menschen genügend zu essen leisten können. So groß ist darum die Nachfrage nach Getreide, Fleisch und Milch, dass Europa von Jahr zu Jahr mehr davon importiert.

Europas Bauern haben es schlecht: Weltweit sinken die Preise für ihre Erzeugnisse, weil immer mehr Schwellenländer ihre Landwirtschaft industrialisieren. So groß ist darum das Überangebot an Getreide, Fleisch und Milch, dass sie von Jahr zu Jahr mehr davon nach Europa exportieren.

Beide Aussagen sind korrekt. Es kommt nur auf den zeitlichen Horizont der Betrachtung an. Und darauf, von welcher Seite man sich dem Thema „EU-Agrarpolitik“ nähert. Ob man also die Interessen der europäischen Agrarier verteidigt oder ein Kritiker des pro Jahr 50 Mrd. Euro schweren Subventionssystems ist.

Damit sind die beiden Pole jener beinharten Auseinandersetzung markiert, die spätestens nach den Sommerferien in voller Lautstärke losbrechen wird: des Kampfes um die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU.

„Besten Böden schon beackert“

Tritt man einen Schritt zurück, so stellt man fest: Die Zeit spielt für Europas Bauern. Zwar sind die realen Lebensmittelpreise im Zeitraum 1900 bis 1990 weltweit gesunken. Das lag an der Industrialisierung der Landwirtschaft, der Erfindung des künstlichen Düngers und der „grünen Revolution“, die vor allem Asien ertragreiche und billige Getreidesorten brachte. Doch ungefähr seit dem Jahr 1990 sinkt in der globalen Landwirtschaft der jährliche Zuwachs an Produktivität. Derzeit steigt der Ertrag pro Jahr nur um ein Prozent – und Europa ist keine Ausnahme. „Die besten Böden werden schon beackert“, sagte der Agrarökonom Harald von Witzke von der Humboldt-Universität Berlin unlängst bei einem Vortrag in Brüssel. „Und mit traditionellen Züchtungsmethoden haben wir das Potenzial für Produktivitätswachstum schon erschöpft.“ Das treibt die Preise.

Schlechte Nachrichten für Arme

Die Fähigkeit der Landwirtschaft, Lebensmittel zu erzeugen, erreicht schleichend einen Plafond. Für die Nachfrage nach diesen Gütern gilt das aber nicht. Im Gegenteil: Zwischen 2000 und 2050 wird sich die globale Nachfrage nach Lebensmitteln verdoppeln. Das liegt am Bevölkerungswachstum. Aber auch daran, dass sich – trotz allen Hungerelends, das es noch immer gibt – immer mehr Menschen immer mehr Fleisch leisten können.

Die Nachfrage steigt also, während sich das Angebot schleichend verknappt. „All das ist eine gute Nachricht für Bauern, genauer gesagt: für Netto-Exporteure von Lebensmitteln. Aber es ist eine schlechte Nachricht für Arme und Hungrige“, sagte von Witzke.

Und: Es ist auch eine zwiespältige Nachricht für Europas Bauern. Denn die exportieren netto eben nicht mehr, als sie importieren. Im Gegenteil: Seit mehr als einem Jahrzehnt klafft die Lücke zwischen Einfuhren und Ausfuhren landwirtschaftlicher Güter in die und aus der EU immer weiter auseinander.

Das ist ironischerweise in erster Linie die Folge einer politischen Entscheidung, die von fast allen Seiten befürwortet wird. Seit dem Beginn der Reformen der gemeinsamen Agrarpolitik in den 1990er-Jahren werden die Subventionen zusehends von der produzierten Mengen an Getreide, Milch und Fleisch entkoppelt. Exportsubventionen und Ausgleichszahlungen, die Europas Waren auf den Weltmärkten künstlich wettbewerbsfähig hielten, laufen nach und nach aus. Dafür fließt der Großteil der EU-Förderungen in die sogenannte „Zweite Säule“ und wird an die Einhaltung von Umweltstandards, den Schutz der Artenvielfalt und die Erreichung hoher Qualitätsanforderungen geknüpft.

Der europäische „Landraub“

Bloß hat diese Reform der EU-Agrarpolitik das Problem der Überproduktion nur verlagert. Europa verursacht keine „Milchseen“ und „Butterberge“ mehr daheim – aber reißt sich indirekt gigantische Flächen im Rest der Welt unter den Nagel, um den eigenen Bedarf an Agrarprodukten zu decken.

Von Witzke hat anhand der Importstatistiken errechnet, dass für die Herstellung der Agrarprodukte, die Europa importiert, Anbauflächen von der Größe Deutschlands erforderlich sind. Allein seit 1998 ist durch den Importanstieg eine Fläche von der Größe Ungarns dazugekommen. Die Förderung von Ackertreibstoffen und Biolebensmitteln (sie brauchen mehr Fläche als herkömmliche) verstärkt diesen europäischen „Landraub“. Und damit ist das Dilemma der Debatte um das europäische System der Agrarförderung auf den Punkt gebracht: Neue Flächen gibt es in Europa kaum, die Gentechnik wird strikt abgelehnt, also lässt sich die eigene Produktivität nur durch mehr Düngereinsatz steigern. Doch der wird immer teurer, schmälert damit die bäuerlichen Einkommen – und verstärkt erst recht den Ruf nach noch mehr Förderungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2010)

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