EU Parlament: Martin verliert wieder Abgeordnete

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Angelika Werthmann hat sich mit Hans-Peter Martin überworfen und vermisst Auskünfte, wohin 3,8 Mio. Euro rückerstatteter Wahlkampfkosten geflossen sind. Zu Unstimmigkeiten gab es schon ab Herbst Hinweise.

Brüssel/Wien. Bereits zum zweiten Mal verliert Hans-Peter Martin eine Mitstreiterin im Europaparlament: Am Mittwoch erklärte Angelika Werthmann, eine von drei Abgeordneten der „Liste Martin“, ihren sofortigen Austritt. Martin halte seine Versprechen von Transparenz und Offenheit nicht ein, die er im EU-Wahlkampf gegeben habe. Vor allem habe Martin nicht einmal ihr, Werthmann, als Listenkollegin trotz mehrfacher Fragen erklärt, was mit den rund 3,8 Millionen Euro an Erstattungsbeträgen aus den beiden EU-Wahlkämpfen 2004 und 2009 geschehen sei. Es sei „hier nicht gegeben“, dass Martins Liste die tatsächlichen Wahlkampfkosten mit diesem Steuergeld gedeckt habe.

Diese beliefen sich laut Werthmann und ihrem Team auf 1,49 Mio. Euro für die EU-Wahl 2004 sowie auf 2,33 Mio. Euro für die Wahl 2009. Werthmann hätte sich bei den Beträgen gewünscht, dass es nachvollziehbar wäre, wie sie zum Einsatz kommen.

„Ich habe Hans-Peter Martin als sehr korrekten Menschen kennengelernt – aber am Wahltag stand plötzlich ein anderer Mensch vor mir“, beschrieb Werthmann am Mittwoch ihr Zerwürfnis, das ein politisches, vor allem aber auch ein persönliches ist. Sie vermisse Kommunikation und Kooperation.

Werthmann-Brief an Martin

Betreff: Dank & Abschied

Lieber Hans-Peter,

ich möchte Dir mitteilen, dass ich mit sofortiger Wirkung die "Liste Martin" verlasse, da ich nicht sehe, wie ich mein Wahlversprechen in der "Liste Martin" umsetzen kann. Ich möchte Dir nochmals meinen Dank für die Nominierung aussprechen - eine Chance, die ich mit vollem Herzen und Einsatz wahrnehme.

Lass mich Dir zum Abschluss versichern, dass ich von mir aus keine "Schmutzkübelkampagne" starte.

Mit besten Grüßen,
Angelika

Zu Unstimmigkeiten gab es schon ab Herbst immer wieder Hinweise, Werthmann selbst wollte sich lange nicht offiziell äußern. Am Mittwoch betonte sie, nun keine „Schmutzkübelkampagne“ gegen „HPM“ und seinen Listenzweiten, Martin Ehrenhauser, starten zu wollen. Das habe sie auch Martin gegenüber versichert, von dem sie bis Mittwochnachmittag allerdings noch keine Reaktion auf ihren Austritt erhalten habe.

Auf die Frage der „Presse“ nach dem jüngsten Gerücht, Werthmann werde von Mitarbeitern des ÖVP-Klubs logistisch und personell unterstützt, sagte die Abgeordnete nur: „An Gerüchten möchte ich mich nicht beteiligen. Ich habe aber von vielen Kollegen sehr kompetente Hilfe bekommen und bin dafür sehr dankbar.“

Übertritt zur ÖVP?

Ein Übertritt zu einer der größeren Fraktionen im EU-Parlament gilt als möglich. Vor allem die ÖVP wird in Parlamentskreisen immer wieder genannt. Im Herbst war noch von einem Wechsel zu den Grünen die Rede gewesen. Werthmann selbst schweigt dazu.

Bei der EU-Wahl 2009 kam die „Liste Martin“ auf 17,7 Prozent der Stimmen und erhielt drei Mandate. Sie war damit die drittgrößte österreichische wahlwerbende Gruppe hinter ÖVP und SPÖ. Der Listenzweite, Martins früherer Mitarbeiter Ehrenhauser, dürfte bleiben.

Als streitbarer Geist gilt Martin schon lange. Nach der EU-Wahl 1999 zerstritt er sich mit der SPÖ, für die er als parteifreier Spitzenkandidat aufgestellt worden war. Nachdem er mit einer eigenen Liste bei der EU-Wahl 2004 kandidierte, überwarf er sich mit seiner damaligen Listenzweiten, Karin Resetarits, die 2005 zu den Liberalen übertrat. Auch bei politischer oder medialer Schelte fährt er gern mit schweren Geschützen auf – etwa, wenn mögliche Ungereimtheiten um die Verwendung seiner Sekretariatszulage thematisiert wurden. Er spricht hier von einer bösen „Rufmordstrategie“.

Für eine Stellungnahme zu Werthmanns Austritt und zu ihrer Sorge um Transparenz bei der Verwendung von Erstattungen für Wahlkampfkosten war Martin am Mittwochnachmittag für die „Presse“ nicht erreichbar. Ehrenhauser sprach von einem „Verrat“ durch Werthmann. Martin hätte „bis zur Selbstaufgabe versucht“, sie zurückzuholen, und dabei auch einen Nervenzusammenbruch erlitten.

Die politische Konkurrenz reagierte auf den jüngsten Tumult wenig überrascht. ÖVP-Delegationschef Ernst Strasser lobte Werthmanns „konstruktive“ Arbeit, im Gegensatz zur „destruktiven Linie“ Martins. Jörg Leichtfried (SPÖ) zollte ihr „Respekt“. Meinung, S. 27

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2010)

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